ο) 29
Thue du es nun. Du hast nun eine doppelte
Pflcht, ihr Vater zu sehn
Und nun sage ich dir mein leztes Lebewohl.
O trauere doch nicht so sehr uͤber mich, lieb—
ster Gemahl! Ich sterbe ja gerne — denn kurz
und voll Jammer ist dieses Leben — und ob
ich gleich eine Suͤnderin bin, so sterbe ich doch
in allen jenen Stuͤcken, deren mich Golo an—
klagte, so unschuldig, wie mein Erloͤser. Er
wird meiner Seele gnaͤdig seyn! Noch einmal,
lebe wohl und bete fuͤr meine abgeschiedene
Seele. Ich scheide mit versoͤhntem, liebevollem
Herzen, und bin noch im Tode — deine treue
Gemahlin Genovefa. I
Diesen Brief schriebe Genovefa unter einem
Strome von Thraͤnen. Dinte und Thraͤnen
flossen darin so untereinander, daß man ihn
kaum lesen konnte. Sie gab ihn nun diesem
Maͤdchen und sagte: Diesen Brief bewehre wie
ein Kleinod auf, und zeige ihn keinem Men—
schen. Und wenn mein Gemahl aus dem Krie⸗
ge zuruͤckkommt, so gib ihm den Brief in seine
Hand. Und mun nahm sie ihre Perlenschnur
vom Halse, und sagte: Diese Perlen, liebes
Kind, nimm fuͤr deine treue mitleidigen Thraͤ—⸗
nen. Sie waren mein Brautschmuck — und
kamen, seitdem sie aus der Hand meines Ge—
mahls erhielt, beinahe nie von meinem Halse.
Sie sollen nun dein Brautschatz seyn. Sie sind
mehrere tausend Goldguͤlden werth. Vertraue
aber deshalb, weil du jezt reich bist, auf nichts
Irdisches. Denk, daß deine Graͤfin diese Per—
len aß ihrem Halse trug, den nun bald das