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Maͤrchen lautet folgendergestalt: der Mond sprach einmal zu
seiner Mutter: „die Naͤchte sind so kalt, ich friere, mach mir
doch ein warmes Kleid!“ Sie nahm das Maaß und er lief fort,
wie er aber wieder kam, war er so groß geworden, daß das
Roͤcklein nirgends passen wollte. Da fing die Mutter an und
trennte die Nähte und ließ aus, allein die Zeit währte dem
Mond zu lange und er ging wieder fort seines Weges. Emsig
nähte die Mutter am Kleid und saß manche Nacht auf beim
Sternenschein. Der Mond kam zurüuͤck, hatte viel gelaufen und
hatte darum viel abgenommen, war schmaͤchtig und bleich ge—
worden, das, Kleid war, ihm also viel zu weit und die Ermel
schlotterten uͤber die Kniie. Da war die Mutter boͤs, daß er
sie so zum Narren habe und verbot ihm je wieder ins Haus
zu kommen. Deswegen muß nun der arme Schelm nackt und
blos am Himmel laufen, bis daß jemand kommt und ihm ein
Roͤcklein kauft.
Es leidet keinen Zweifel, daß bei den heutigen Griechen
noch Maͤrchen erzaͤhlt werden, der neueste Beobachter derselben,
Pouqueville, bemerkt es ausdruͤcklich. Auch ihre Volkslie—
der epischen Inhalts, wie wir sie aus einer noch ungedruckten
Sammlung kennen, deuten darauf; sie haben oͤbrigens dem
Geiste nach manches Aehnliche mit den serbischen und morlaki—
schen. Ganz kindlich wird, z. B. in einem erzählt, wie Cha—
ron die Seelen der Verstorbenen nach der Unterwelt fuͤhrt.
Die Jungen gehen vor ihm her, die Alten schleppen sich nach,
die kleinen Kinder hat er am Sattel festgebunden. Bei die—
ser traurigen, Fahrt trauert die Natur mit, die Berge ragen
dunkel und düster in die Héhe. Als sie bei einem Quell an—
langen, bitten die Reisenden den Fuͤhrer: “lieber, kehr hier
ein, laß uns bei der Quelle weilen, damit die Alten aus der
Flut trinken können, die Jungen spielend mit Steinen wer—
fen, und die Kinder sich die Blumen einsammeln“. “„Nein,
antwortet der Alte, die Mütter koͤnnten kommen und ihre
Kinder sehen, dann waͤren ssie nicht wieder zu trennen“. —
Von einem andern epischen Volkslied, das Bartholdi in