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brechen.“ „Ja, antwortete Zweiaͤuglein, das will ich wohl koͤn—⸗
nen, denn der Baum gehoͤrt mir“ und stieg hinauf und brach mit
leichter Muͤhe einen Zweig mit seinen silbernen Blaͤttern und gol—
denen Fruͤchten ab und gab ihn dem Ritter. Da sprach der Rit—
ter: „Zweiaͤuglein, was soll ich dir dafuͤr geben?“ „Ach, ant—⸗
wortete Zweiaͤuglein, ich leide Hunger und Durst, Kummer und
Noth vom Morgen bis zum Abend, wenn ihr mich mitnehmen
und erloͤsen wollt, so waͤr ich gluͤcklich.“ Da hob der Ritter das
Zweiaͤuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein vaͤterli—
ches Schloß, dort gob er ihm schoͤne Kleider, Essen und Trinken
nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich mit
ihm einsegnen und ward die Hochzeit in großer Freude gehalten.
Wie nun Zweiaͤuglein so von dem schoͤnen Rittersmann fort—⸗
gefuͤhrt wurde, da waren die zwei Schwestern recht neidisch uͤber
sein Gluͤck. „Nun, der wunderbare Baum bleibt uns, dachten
sie, koͤnnen wir auch keine Fruͤchte davon brechen, so wird doch
jedermann davor stehen bleiben, zu uns kommen und ihn ruͤhmen;
wer weiß, was uns noch fuͤr ein Gluͤck bluͤht.“ Aber am andern
Morgen war der Baum verschwunden und ihre Hoffnung dahin;
und wie Zweiaͤuglein zu seinem Kaͤmmerlein hinaussah, so stand
er zu seiner großen Freude davor und war ihm also nachgegangen.
Zweiaͤuglein lebte lange Zeit vergnuͤgt, da kamen einmal zwei
arme Frauen auf ihr Schloß und baten um ein Almosen. Da sah
ihnen Zweiäuglein ins Gesicht und erkannte ihre Schwestern Ein—
aͤuglein und Dreiaͤuglein, die so in Armuth gerathen waren, daß
sie umherziehen und vor den Thuͤren ihr Brot suchen mußten.