Full text: Leutnants-Erinnerungen eines alten Kurhessen

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daß man mich meines einzigen Freundes beraubt. 
Der Gedanke belebte meine gesunkenen Lebens— 
geister so, daß ich auf allen Vieren aus dem 
Stall kroch. 
Ich sah meine schlimmsten Ahnungen bestätigt, 
aber der traurige Anblick des todten Freundes 
verhinderte mich nicht, mir — horibile dictu! 
— — die Wurstsuppe, die mir seine Mörder vor⸗ 
setzten, herrlich schmecken zu lassen. 
So wurde er noch im Tod mein Wohlthäter. 
Offenbar kehrten meine Kräfte nach und nach 
wieder, und ich wanderte weiter, statt „Hunger“ 
und „Deutschland“, nun „Hunger“ und „Hessen⸗ 
Kassel“ als einzig mir nothwendig erscheinende 
Worte hervorstoßend. Mein ganzes Denken kon⸗ 
zentrirte sich auf diese beiden Worte, ich stol—⸗ 
perte weiter, obgleich schon das Fieber in meinen 
Adern raste, ich brach zusammen, als ich, endlich, 
endlich zu Haus war.“ 
Frau Linchens lautes Weinen unterbrach hier 
den Gaͤtten, auch ihm traten die Thränen in die 
Augen, und es dauerte eine Weile, ehe er fort—⸗ 
fahren konnte. 
„Doch ich wollte ja von Gießers Tod und 
jenem Glückstag, der ihm folgte, erzählen. 
Wir, d. h. eine kleine Bande von etwa 
aeossem Acshelaviek (8 Mann) mochten un— 
gefähr ssorok werst (40 Werst eirca 6 deutsche 
Meilen) von Borodino entfernt sein; es war eine 
erbärmliche Kälte, und wir waren vollständig 
erschöpft, als uns die einbrechende Nacht zwang, 
unter den Trümmern eines abgebrannten Bauern⸗ 
hauses nothdürftigen Schutz zu suchen. Den 
ganzen Tag hatten wir nichts zu essen gehabt, 
denn die Dörfer mußten wir ängstlich vermeiden, 
und hatten nur den brennenden Durst ab und
	        
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