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Schwestern Milanollo und Dreyschock ein Concert
geben würden!
Trotzdem und ebendeswegen war Heine der
gehaßteste und geliebteste, vergöttertste und ge—
fürchtetste Dichter der Zeit, er gab so kühn den
Gefühlen Ausdruck, die das „arme Volk der
Denker“ nicht auszusprechen wagte.
So fand auch der Vorschlag der Frl. Sabine
von Seschen, daß ihre Nichte Thekla ein noch
wenig bekanntes Gedicht Heines zum Amüsement
der Herrschaften deklamiren möge, sofort unge⸗
theilten Beifall.
Thekla v. Seschen erklärte sich auch ohne jede
Ziererei dazu bereit und wurde sofort auf einen
in einer Ecke stehenden halbrunden Tisch gehoben,
von wo aus sie schlicht und einfach, aber alle
Zuhörer ergreifend, die „Wallfahrt nach Kevlaar“
vortrug.
Mehr als ein Auge wurde feucht, ja der sonst
so fischblütige Kant schluchzte wie ein Kind. Auch
ich hatte Mühe, meine Fassung zu bewahren und
richtete meine Augen krampfhaft nach der Decke,
in deren Mitte, zwischen dem natürlich unver⸗
meidlichen Lorbeerstuck, ein achtarmiger, zierlicher,
grüner Bronce⸗-Kronleuchter hing.
Von diesem, als ich fühlte, daß ich wieder
Herr meiner selbst war, wanderten die Augen
weiter, und in ihrem Gesichtskreis erschienen jetzt
die schönen Züge meines englischen Freundes.
Wohl war die Röthe der Gesundheit wieder in
dieselben zurückgekehrt, um so mehr frappirte
ihre steinerne Ruhe, ja der sast finstere Zug
in dem edel geschnittenen Gesicht. Wo weilten
seine Gedanken? War er, trotz meiner Ver—⸗
muthung, der deutschen Sprache doch noch nicht