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„Was?“ frug ich erstaunt. Frau Amtsgerichts⸗
räthin lachte: „Kennen Sie den Ausdruck nicht?
Ein „ausgestorbenes Kind“ ist ein Wesen, dem
Vater, Mutter, Groß⸗ und Urgroßeltern sowie
sämmtliche Geschwister, gewöhnlich an der Schwind⸗
sucht, gestorben sind, und auf welches sich nun alle
hinterlassenen Familiengroschen konzentriren. Ka⸗—
piren Sie jetzt? Frau von Ehler ist eine entfernte
Verwandte der Kleinen und hat sich ihrer mit
schwiegermütterlicher Liebe angenommen. Herr
Frank von Ehler hat sich als gehorsamer Knabe
schon als Fähnrich mit Schön-Adda verlobt und
dann leider hier erst, als er in Sylvias Augen
geschaut, sein Herz entdeckt.“ — Es wurde mir
inmer unbehaglicher bei dem Geplauder zu Muth,
dessen Gegenstand dies ernste, blasse Mädchen da
oor mirx war, als wenn eine rohe Hand unge—
schickt oder bösartig eine Wunde beruͤhrte. —
So war es mir eine förmliche Erleichterung,
als jetzt weitere Theilnehmer unserer Gesellschaft,
aus dem Walde tretend, auf uns zukamen.
Zwei Herren, eine Dame zwischen sich, in
deren Arm ein Artillerieoffizier sich galant ein⸗
gehängt hatte, näherten sich uns. Der andere
Begleiter der Dame, der pustend und stöhnend
neben ihr herschritt und sich fortgesetzt mit einem
seidenen Taschentuch sein dickes, rothes Gesicht
abwischte, war für jeden, der ihn zuerst sah, ein
Prüfftein für gute Erziehung. Es war fast un—
möglich, beim Anblick Leutnant Werbens nicht
zu lachen. Sein Spitzname war „der Täuberich“,
denn er war, in Folge einer Kinderkrankheit, et⸗
was schwerhörig. Aus seinem Vollmondgesicht
schauten ein paar gute, treue Jagdhundaugen
schier melancholisch in die Welt, sein Körper⸗
umfang überstieg das Erlaubte.