Full text: Der Pyrmonter Kurgast (1914, Nr. 11)

Der Pyrmonter Kurgast 
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gewinde gehen über die enge Straße, grüne Maien stehen vor den Türen 
der Häuser. Die gehen mit ihrem Giebel nach der Straße, zeigen schönes 
altes Fachwerk in kräftigen Farben, und blitzblanke Fenster mit weißen 
Gardinen. Vor jedem Hause nach der Straße ein mäßiger Misthaufen in 
hoher Steineinfassung, ebenfalls mit Maien geschmückt. In der Hauptgasse 
des Städtchens das stattliche Rathaus, der Stolz Schwalenbergs, ein Bau, 
der noch aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammt, mit geschnitzten bunten 
Holzfiguren vor dem reichen Fachwerk. Drinnen eine Ratsstube im Zeichen 
der Rose, des Lippischen Wappens, während überall daneben der gelbe Stern 
im roten Grunde zu sehen ist, auf dessen Zacke ein schwarzes Vöglein sitzt, 
das naive Wappen von Schwalenberg. Bismarcks Dankschreiben für die 
Ehrenerklärung zum Lippischen Pürger hängt in schöner Ausstattung an der 
Wand und die Wappen aller Lippischen Städtchen, ich weiß nicht, ob es 
sieben sind, oder noch eins mehr, daneben. Auch das Rathaus ist geschmückt, 
und in seiner Nähe hat man an einem Vorbau gar zwei über lebensgroße 
ungerahmte Leinwandten mit den Bildern des Kaisers und seines Groß— 
baters ausgehängt. Die Straßen sind fast leer, denn in halber Höhe der 
Burg ist ein mächtiges Zelt aufgebaut, in dem die Einwohner des ganzen 
Städtchens Platz haben. Hier und da sieht man sie auch in Trupps den 
Berg emporsteigen. 
Das große Gastzimmer im Lippischen Hof ist dämmerig und leer. Das 
hübsche Mädchen, dem man es ansieht, daß es die Nacht hindurch getanzt 
hat, trägt den bestellten Eierkuchen, der köstlich nach Speck duftet, vor das 
große Ledersofa, von dem eine angenehme Kühle ausgeht. Irgend ein un— 
glücklicher Maler, der seine Zeche nicht bezahlen konnte, hat die Wände mit 
Riesenbildern der Lippischen Burgen geschmückt. Die Schwalbenburg zeigt 
sich in ihren verschiedenen Altersstufen, und ich sehe, daß jedes Jahrhundert 
ihr einen ihrer Flügel oder ihrer Türme geraubt hat, bis zuletzt auch die 
Mauer entschwunden ist. Dafür erfahre ich, daß neuer Glanz ihr winkt, 
denn die Fürstin-Witwe von Lippe läßt sie ausbauen, um dort mit ihren 
Töchtern zu wohnen. Neues Leben wird auf dem Schwalbenberg einziehen, 
und wieder muß ich denken, wie kostbar in kurzem solche Einsamkeiten werden, 
wenn die Möglichkeit, aus der bunten Vielheit in die Stille zu gehen, schwerer 
und schwerer wird. 
An den großen Baulichkeiten der Domäne vorbei, gehe ich nach dem 
Wald zurück. Überall ist hier die Domäne die Hüterin der Fruchtbarkeit 
des Landes. Diese kleinen Orte, die in die Täler gebaut sind, scheinen 
alle Siedlungen, deren Gedächtnis, sich bis in die fernste Vergangenheit erstreckt. 
Ich denke an die Meiereien Karls des Großen, die ich im Odenwald gefunden 
habe. Bei solchen Wanderungen lernt man die Vergangenheit verstehen. 
Auf einem Richtwege, der noch reichlich Zeit braucht, geht es nach
	        
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