Der Pyrmonter Kurgast
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Schwalenberg.
Von Agnes Harder.“)
Eigentlich wollte ich vom Wandern sprechen, als von einem Sport, der
der fürnehmste und menschenwürdigste wird, je mehr die Automobile auf den
Straßen dahinrasen, Staub entwickeln und nervösen Menschen hinter Scheu—
klappen und Glasbrillen ein wenig Natur vormachen. Denn da das Seltene
immer am höchsten im Preise steht, und schließlich nichts seltener geworden
ist, als zu Fuß über Berg und Tal zu gehen, so wird Wandern, Cinhergehen
mit gesunden Gliedern in der Fuͤlle und Kraft der Gesundheit, mit reinen,
frischen Augen in die Natur sehen, mit gesundem Magen bei einem einfachen
Eierkuchen sitzen und nichts vermissen, in der Tat nächstens das kostbarste und
vornehmste Vergnügen sein. Wandern, das ein Ziel hat, weil einer der Haupt—
reize ist, dieses Ziel aus der Ferne winken zu sehen, Rast zu machen, es zu
genießen, und dann Abschied nehmend ihm noch ein letztes Grüßen zu schicken.
Solch ein Ziel war mir Schwalenberg. Es ist nur ein winziges Städtchen
im lippischen Lande, hat nur neunhundert Einwohner, und ist weder mit der
Bahn noch mit der Post zu erreichen, sondern nur im rollenden Wägelchen,
dessen Preis das Ziel nicht lohnt, da die Chaussee noch einen großen Bogen
macht, und es bleibt dem nach seiner bescheidenen Herrlichkeit Sehnsüchtigen
nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen.Von Pyrmont aus erst eine
Bahnfahrt von zehn Minuten, auf der man mit Geschick aus dem Fürstlich—
Waldeckschen ins Westfälische, und von da ins Lippische gelangt, und den
Wechsel von dreier Herren Länder am freundlichen Fließen der Emmer mit
ihren grünen Wiesen und dem geduldig weidenden Vieh garnicht bemerkt,
daß ja Grenzen nur auf dem Papier stehen und in Wirklichkeit nicht häßliche
Striche durch Maßlieb und Mohn machen können. Schieder, wo ich die
Bahn verlasse, ist ein freundlicher kleiner Ort im Lippischen, den kluge
Sommerfrischler, denen es um das Ding an sich zu tun ist, nicht um Toiletten
und Sensationen, voll zuͤ würdigen wissen. Die Fürsten von Lippe haben
hier ein anmutiges Sommerschloß in einem großen Park, das im tiefen Schatten
5) Ein freundlicher Beitrag der bekannten Schriftstellerin, der wir an dieser Stelle die Glück—
wünsche ihrer Pyrmonter Freunde zum fünfzigsten Geburtstage aussprechen möchten. (Die Red.)