Der Pyrmonter Kurgast
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Zweigen. Wir wandten uns auf einem Feldweg nach links, wo der dichte
Wald am nächsten lockt, um im Schatten den Aufstieg zu unternehmen.
Ein schmaler Fußpfad zwischen den Bäumen führt steil bergan, und
meine alte Freundin mußte mir oft Halt gebieten, um sich zu erholen.
Viele Wege führten nach rechts und links am Bergrücken entlang, wir
querten sie alle, um schneller auf die Höhe zu gelangen. Nach einem
etwas beschwerlichen Gang durch dichtes Unterholz gelangten wir endlich
auf den breiten Grenzweg, der auf dem Kamme der Bergreihe ziemlich
eben führt. Und dieser Grenzweg ist der schönste Weg, den es hier in der
Umgegend gibt. Auf der einen Seite begleitete uns dichtes Unterholz mit
einer Reihe herrlicher Buchen, die ihre Zweige tief in den Weg hinein—
hängen lassen und stellenweise einen Laubengang bilden. Auf der andern
Seite wechseln Tannenbestände mit Laubwaldungen. Dazwischen sind
Lichtungen und Schonungen, wo das Wild sorglos äste, hier so wenig
gewohnt, Menschen zu sehen, daß es sich durch uns kaum stören ließ. Hier
und dort leuchtete der Waldboden auf ganze Strecken im weißlichen
Schimmer des duftenden Waldmeisters, der gerade in vollster Blüte stand.
So unberührt und still und weltverlassen ist dieser Waldweg, so heimlich,
daß man kaum zu reden wagt, und so wanderten wir still und nur genießend
in dieser Einsamkeit wohl länger als eine Stunde. Dann traten wir in
einen düstern Tannenweg, in dessen Ausgang blendendes Sonnenlicht fiel:
wir kamen auf eine herrliche Waldwiese voll blühender, duftender Kräuter,
die rechts von hohem Wald umsäumt ist, links noch etwas ansteigt, oben
von jungem Gehölz bestanden. Auf diese Anhöhe führte mich meine Ge—
fährtin hinauf, und hier erschloß sich meinem überraschten Blick das jenseitige
Tal in seiner ganzen Schönheit. In der breiten Talmulde drüben liegen
zwischen wogenden Feldern und blumigen Wiesen reiche Dörfer. Der Wald
schiebt sich von den Bergen an beiden Seiten hier und dort tiefer ins Tal
hinein, Schluchten umsäumend, in denen Wege hinaufführen. Drüben
erhebt sich eine Bergreihe hinter der andern, es sind die Bergzüge, welche
die Weser jenseits Hameln auf beiden Ufern begleiten, und meine Freundin
erzählte mir von den malerischen Felspartien, welche diese Berge bilden,
von alten Schlössern und Burgruinen, die auf die Weser herabschauen.
Wenn sie kommen — und sie werden kommen — dann durchwandern wir
auch jene Berge.
Ganz rechts schließt den Blick der Klüt bei Hameln, der Rattenfänger—
berg, vor den der niedrigere Ohrberg mit seinem schönen Park sich schiebt,
zur Weser schroff abfallend. Lange saßen wir hier und schauten in das von
der Mittagssonne durchglühte Tal in seiner Farbenpracht. Wir hatten be—
schlossen, in einer von hier schnell zu erreichenden Wirtschaft, der Senn—
hütte, zu Mittag zu speisen und unsere Wanderung auf dem Bergkamme