Full text: Der Pyrmonter Kurgast (1914, Nr. 11)

Der Pyrmonter Kurgast 
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Zweigen. Wir wandten uns auf einem Feldweg nach links, wo der dichte 
Wald am nächsten lockt, um im Schatten den Aufstieg zu unternehmen. 
Ein schmaler Fußpfad zwischen den Bäumen führt steil bergan, und 
meine alte Freundin mußte mir oft Halt gebieten, um sich zu erholen. 
Viele Wege führten nach rechts und links am Bergrücken entlang, wir 
querten sie alle, um schneller auf die Höhe zu gelangen. Nach einem 
etwas beschwerlichen Gang durch dichtes Unterholz gelangten wir endlich 
auf den breiten Grenzweg, der auf dem Kamme der Bergreihe ziemlich 
eben führt. Und dieser Grenzweg ist der schönste Weg, den es hier in der 
Umgegend gibt. Auf der einen Seite begleitete uns dichtes Unterholz mit 
einer Reihe herrlicher Buchen, die ihre Zweige tief in den Weg hinein— 
hängen lassen und stellenweise einen Laubengang bilden. Auf der andern 
Seite wechseln Tannenbestände mit Laubwaldungen. Dazwischen sind 
Lichtungen und Schonungen, wo das Wild sorglos äste, hier so wenig 
gewohnt, Menschen zu sehen, daß es sich durch uns kaum stören ließ. Hier 
und dort leuchtete der Waldboden auf ganze Strecken im weißlichen 
Schimmer des duftenden Waldmeisters, der gerade in vollster Blüte stand. 
So unberührt und still und weltverlassen ist dieser Waldweg, so heimlich, 
daß man kaum zu reden wagt, und so wanderten wir still und nur genießend 
in dieser Einsamkeit wohl länger als eine Stunde. Dann traten wir in 
einen düstern Tannenweg, in dessen Ausgang blendendes Sonnenlicht fiel: 
wir kamen auf eine herrliche Waldwiese voll blühender, duftender Kräuter, 
die rechts von hohem Wald umsäumt ist, links noch etwas ansteigt, oben 
von jungem Gehölz bestanden. Auf diese Anhöhe führte mich meine Ge— 
fährtin hinauf, und hier erschloß sich meinem überraschten Blick das jenseitige 
Tal in seiner ganzen Schönheit. In der breiten Talmulde drüben liegen 
zwischen wogenden Feldern und blumigen Wiesen reiche Dörfer. Der Wald 
schiebt sich von den Bergen an beiden Seiten hier und dort tiefer ins Tal 
hinein, Schluchten umsäumend, in denen Wege hinaufführen. Drüben 
erhebt sich eine Bergreihe hinter der andern, es sind die Bergzüge, welche 
die Weser jenseits Hameln auf beiden Ufern begleiten, und meine Freundin 
erzählte mir von den malerischen Felspartien, welche diese Berge bilden, 
von alten Schlössern und Burgruinen, die auf die Weser herabschauen. 
Wenn sie kommen — und sie werden kommen — dann durchwandern wir 
auch jene Berge. 
Ganz rechts schließt den Blick der Klüt bei Hameln, der Rattenfänger— 
berg, vor den der niedrigere Ohrberg mit seinem schönen Park sich schiebt, 
zur Weser schroff abfallend. Lange saßen wir hier und schauten in das von 
der Mittagssonne durchglühte Tal in seiner Farbenpracht. Wir hatten be— 
schlossen, in einer von hier schnell zu erreichenden Wirtschaft, der Senn— 
hütte, zu Mittag zu speisen und unsere Wanderung auf dem Bergkamme
	        
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