128
Der Pyrmonter Kurgast
danke kommt ihm: läufst du ab, bleibst du stehen? Ganz taktmäßig wallt
jede dieser Fragen in ihm auf und ab. Sein Wille bäumt sich auf: „Stehen
bleibst du!“ Und er verschränkt die Hände auf dem Rücken und bleibt
stehen — krampfhaft — stehen. Eine Ewigkeit scheint ihm in dieser Pause
abzulaufen — — — —
Da bekommt er von einem Nebenstehenden einen derben Knuff, die
Fortsetzung seines Satzes wird ihm energisch ins Ohr geraunt. Da wacht
er auf, der Geist der Erleuchtung kommt über ihn, ohne Stocken vollendet
er seine Botschaft.
Beschämt in tiefster Seele, geht er ab. Er fühlt, was es heißt, eine
Schlacht zu verlieren. Eine Kollegin steht in den Kulissen, scheu will er
sich an ihr vorbeidrücken, aber sie hält ihn an. Sehr nett waren Sie!
Gratuliere! Fassungslos starrt er sie an, er haßt sie fast für ihre Ironie.
Herzlich schüttelt sie ihm die Hand. „Aber ich bin doch steckengeblieben,“
würgt er mit gesenktem Blick hervor. „Aber, Kindel, das merkt doch kein
Mensch, das waren doch nur Sekunden. Nein, nein, recht brav und mutig
waren Sie; seien Sie zufrieden und halten Sie den Kopf hoch!“ —
Mit bittern Gedanken sitzt er vor seinem Garderobenspiegel und schminkt
sich ab. Sein Glaube an sich selbst ist wieder einmal auf dem Nullpunkt
angelangt — die Tränen stehen ihm in den Augen.
Neben ihm sitzt sein Kollege und beobachtet den Debutanten mit ver—
stohlenen Blicken. Schließlich rüttelt er den In⸗sich-Versunkenen auf.
„Kleiner, seien Sie vernünftig! Lassen Sie sich die Chose da draußen nicht
so zu Herzen gehen! Angefangen haben wir alle einmal und steckengeblieben
sind wir auch dabei. Schauen Sie sich unsere Großen an — kaum Einer
hat ein glatt verlaufenes Debut. Jeden hat halt der Teufel Lampenfieber
in den Klauen gehabt und jeden hat er es fast heute noch bei jeder Première.
Und es ist wahrlich kein schlimmes Zeichen: es entspringt aus der Ehrfurcht
vor unserer Kunst, entspringt aus der bangen Frage, ob wir auch ihr
berufener Diener sind, ob unsere Kräfte für ihre Aufgaben ausreichen
werden. Deshalb: Kopf hoch, seien Sie stolz, daß Sie von heute ab
Jünger einer großen Herrin geworden sind! — Noch eins möchte ich Ihnen
bei Ihrem Debut mitgeben: „Nicht das große Talent entscheidet die Karriere,
sondern der größte Fleiß. Also Fleiß, Fleiß und nochmals Fleiß — —
und, lassst not least, Glück!“
Von tausend widersprechenden Gefühlen erfüllt, verläßt er das Theater.
Der erste Schritt in einem neuen Lebensabschnitt ist getan. Die Brust voller
Sehnsucht, Ehrgeiz und tausend Hoffnungen schreitet er in die Nacht hinaus.
Verenmworciich für den redaktionellen Teil nund Inserate: Otto Buchmann, Bad Pyrmon.
Verlag: Fürstliche Kurverwaltung, Bad Pyrmont.
Druck: Richard Petersen, Großbuchdruckerei, Hannover-Ricklingen.