Der Pyrmonter Kurgast
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Strumpf?? Eben lag er doch noch vor ihm. Er bückt sich, sucht auf dem
Boden und findet — nichts. Er reißt das Schubfach seines Schminkkastens
auf — wieder nichts, greift über sich — wieder, wieder nichts. Der
Schweiß steht ihm in großen Tropfen auf der Stirn. Schließlich wendet
er sich mutig an seinen neben ihm sitzenden Kollegen, der sich eifrig fertig
macht. „Verzeihen Sie, haben Sie nicht meinen Strumpf gesehen?“ Der
Andere schaut bei dieser urkomischen Frage verdutzt auf, dann muß er lachen
uͤber den verzweifelten Hilflosen. „Nein, Kleiner, aber machen Sie jetzt
schnell, eben fängt's an, Ihr Auftritt ist gleich.“ — „Ist gleich — — ist
gleich —“ echot es in ihm nach. Er rennt umher, versetzt die ganze Garderobe
in Aufruhr, sucht an den möglichsten und unmöglichsten Orten. Da faßt
einer der um ihn Herumstehenden seinen bereits angezogenen Strumpf —
von einem schrecklichen Verdacht ergriffen — und reißt ihn herunter. Ein
allgemeines „Ah“ und ein völlig fassungsloses Gesicht des Debutanten —
denn unter dem halb herabgezogenen Strumpf blickt freundlich liebenswürdig
der andere langgesuchte hervor: er hat die Strümpfe übereinander gezogen.
Erschöpft fällt er auf einen Stuhl und läßt sich Strumpf und Stiefel
anziehen.
Da erscheint der Inspizient. „Herr M... wo sind Sie? Ihr Auftritt
ist doch gleich.“ Heraus aus der Garderobe, auf die Bühne.
Mit klopfendem Herzen steht er zwischen den Kulissen und horcht auf
sein Stichwort. Da bekommt er von dem neben ihm stehenden Inspizienten
einen Stoß: „Auftreten.“
Auf der Szene, im strahlenden, vollen Rampenlicht steht er. Er sieht
ein großes, gähnendes schwarzes Loch vor sich: Zuschauerraum, aus dem ihm
eine Unmenge weißer Flecke — Gesichter der Zuschauer — entgegenleuchten.
Er meint, alle Operngläser sind auf ihn gerichtet, fühlt sich von tausend
Blicken durchbohrt. Es schwimmt ihm vor den Augen, seine Beine wollen
nicht mehr feststehen und beginnen das schönste Tremolo. Vergebens strengt
er seine Willenskraft an, ruhig zu werden, seine Glieder fliegen allmählich
in schönstem Lampenfiebertakt.
Da hört er seinen Satz, der ihm das Stichwort zum Reden bringt.
Wie aus weiter fremder Ferne klingen die Worte seinem Ohr. Das Auge
der Sprecherin ruht voll auf ihm. „Warum starrt sie mich nur so an,“
denkt er. Jetzt fiel sein Stichwort. Er beginnt zu reden. „Königin!“ Er
stockt, der Gedanke riß ihm ab. Er will sich besinnen, vergeblich. Er füͤhlt sein
Blut herauf, herunter sieden, kann förmlich die Blutwellen zählen. Aber
er will nicht zählen, er will denken! Vergeblich! Eine vollständige Lähmung
bannt ihn. Er sieht mit halbem Blick die verzweifelten Anstrengungen des
Souffleurs, ihm zu helfen; hört wie er ihm Worte zuruft. Aber er faßt
nicht. Er fühlt nur sein Blut hänmmern und hämmern — — —. Ein Ge—⸗