Der Pyrmonter Kurgast
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rechts — wie ich es ja überhaupt immer zu tun pflege, — den Blick wendete,
mir sichtbar zu werden. Und am andern Morgen um sechs Uhr ward,
1853 wie 1806, der übliche Choral in der Allee angestimmt. Welche Fülle
der Erinnerungen strömte mit diesen Klängen mir zu!
Damals, bei den ersten Tönen, war die schöne Königin im schlichten
weißen Morgengewande, ihr Trinkglas in der Hand, wieder in der Allee:
ihr zunächst die andern Hoheiten. Die Sterne der fürstlichen Herren waren
nicht an ihren Oberröcken sichtbar und statt der Eskarpins trugen sie Stiefeln
mit gelben Stulpen; die Mecklenburgischen Herzöge, Vater und Brüder der
Königin, waren gegenwärtig, ebenso der Landesherr, Fürst Georg, ein un⸗
gewöhnlich großer und starker, aber sehr schöner Mann. Eine hervorragende
Erscheinung war Herzog Peter von Oldenburg, ein Herr von wahrhaft
fürstlichem Außern, dem russischen Kaiserhause verwandt. Lange sah man
ihn im Gespräch mit der lieblichen Großfürstin, deren wunderschöne Augen
im frischesten Lebensfrühling schon Tränen gekannt hatten, da sie vor wenigen
Monden ihren erstgebornen Prinzen verloren. Nächstdem wendete sich der
Herzog zu einer königstreuen französischen Dame, Madame de Ragouneau,
die lange von dem Elend im Innern von Frankreich, von der zunehmenden
Verarmung der Bevölkerung ihn unterhielt. General Blücher, von den
roten Husaren, wollte sich ihr nicht vorstellen lassen; er sagte zur Fürstin
Hatzfeld: „Ich kann die Franzosen aller Sorten nun einmal im Frieden
nicht leiden; im Kriege hab ich sie schon recht gern, aber mir gegenüber
Zur Seite: O nein!“
Blücher, dessen Name später ganz Deutschland in Begeisterungsflammen
auflodern ließ, war eine mächtige, kriegerische Gestalt mit starkem, ergrauendem
Schnurrbart, damals etwas Ungewöhnliches. Ahnte es die schöne Königin,
daß er einst in die vorderste Reihe der Retter deutschen Wesens treten würde?
Ihr huldreichstes Lächeln erwiderte jedesmal seinen ritterlichen Gruß. An
diesem lieblichen Morgen nun stand die Königin lange vor dem Tischchen
einer bejahrten Frau, welche die frischen Sträuße aus der altberühmten
Orangerie des nahen Gutes Schwöbber verkaufte: ich hörte nicht, was Sie
sprach, aber ich sah auf dem gefurchten Angesicht der Alten es wie Ver—
klärungsschimmer aufleuchten, und dann hörte ich die Frau Exzellenz von
Voß sagen: »Votre Majesté daignera-t-elle en finir avec cette vieille?
Voilà Monseigneur l'Electeur de Hesse qui vient Lui présenter ses
hommages!« Und vielleicht ganz gern unterbrochen, wendete Königin Louise
dem Schwiegervater ihrer liebenswürdigen und sehr geliebten Schwägerin
sich zu; an den Blumentisch aber trat die Großfürstin Marie, und ich sah
nächstdem zwischen den mit zierlichen Handhaben von Rohr versehenen Sträußen
zwei Goldstücke blinken; Königin nun und Großfürstin trugen jede ihren Strauß.
(Schluß folat in Nrug dieser Zeitschrift.)