Der Pyrmonter Kurggast.
Heft 8.
Bad Pyrmont, den 4. Juli 1914.
Heft 8.
Die Königin Louise in Pyrmont 1806.
Seit ich im Winter die schöne Dichtung eines ungenannten Sängers:
„Königin Louise“ gelesen, war aufs Neue der Wunsch rege geworden,
die Stelle, wo einst auch meine Augen die hohe Königin erblickt haben, das
liebliche Tal von Pyrmont, wiederzusehen; zur fünfzigjährigen Jubelfeier
der Erinnerung und des Schmerzes, so hatte ich es mir vorgenommen. Wer
aber mag nahe den Siebenzigen über künftige Jahre gebieten, wer am Lebens—
abend irgend Etwas, sei es Pflicht oder Wunsch, hinausschieben in fernere
Zeit? Eben jetzt war es nicht unmöglich: aus dem alten Stifte, zwischen
Waldesdunkel und Wiesengrün am hellen Flüßchen gelegen, geht es in wenig
Stunden über die Heiden und den Knüppeldamm des Moores, und dann
noch eine Strecke Chaussee, an eine Eisenbahn; in wenig Stunden hinwiederum
erreicht l'equipage du Diable — so nennt meine Frau Aebtissin, eine
hohe Achtzigerin, und mithin allen Neuerungen abhold, den Dampfzug —
Hannover, und von dort, erinnerte ich mich, führte eine kleine Tagereise
an das Ziel; gegenwärtig, wo alle Fernen zusammenrücken, ohne Zweifel
noch geringere Zeit. Da wollte ich, — seit länger als einem Vierteljahr—
hundert in diesen altersgrauen Mauern, zwischen meist bejahrten Genossinnen
in Gebet, Arbeit und Erinnerung lebend, unter Bildern, Büchern, Blumen
und zahmen Vögeln, und mit der äußeren Welt fast nur in Verbindung
durch die Kreuzzeitung und das Hallische Volksblatt, — einen Streifzug
machen in das lichte Land der Vergangenheit. Hatte doch jedes Jahr zur
Zeit, wo die uralte Linde auf dem Stiftshofe, blitzgetroffen und verkümmert,
ihre Blütendüfte in meine Fenster wehen ließ, eine tiefe Sehnsucht nach
dem schönen Pyrmont mich erfaßt, und mit diesem Duft und dieser Sehnsucht
war immer aufs Neue das Bild der herrlichen Königin vor meine Seele
getreten. Ach, es blüheten auch die Linden von Hohenzieritz um die Stunde,
da sie die Augen dem Erdenlichte geschlossen, und über Lindendüften haben
die Engel sie emporgetragen, als ihr „Dornenkranz“ vollendet war! Jetzt
nun schwellten die Blütenknospen jener alten Stiftslinde. und mein Entschluß
*) Aus einem alten Büchlein „Pyrmont und seine Umgebungen“ von H. E. und M.
Marcard mit freundlicher Genehmigung des Verlages Ferdinand Schöningh-Paderborn. Es
sei bemerkt, daß obige Arbeit nicht von den beiden Verfassern herrührt, sondern von einer
nunmehr längst verstorbenen Dame. Der Beitrag ist von den beiden Verfassern lediglich unter
strenger Innehaltung alles geschichtlich Mitgeteilten überarbeitet und inbetreff der rtlichkeiten
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