Full text: Nathan der Weise. (1854)

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Philotas. 7. Auftritt. 
cheiltest, als er — Doch Du sollst mich nicht zwingen; ich will 
nicht davon sprechen! Unsere Schuld und Unschuld sind unend— 
licher Mißdeutungen, unendlicher Beschönigungen fähig. Nur 
dem untruͤglichen Auge der Götter erscheinen wir, wie wir sind; 
nur das kann uns richten. Die Göͤtter aber, Du weißt es, 
König, sprechen ihr Urtheil durch das Schwert des Tapfersten. 
Lass' uns den blutigen Spruch aushören! Warum wollen wir 
uns kleinmüthig von diesem höchsten Gericht wieder zu den 
niedrigern wenden? Sind unsere R schon so müde, daß die 
geschmeidige Zunge sie ablösen müsse? 
Aridäus. Prinz, ich höre Dich mit Erstaunen — 
Philolas. Ach! — Auch ein Weib kann man mit Erstaunen 
hören! 
Aridäus. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer! 
—. Dich hat das Schicksal zur Krone bestimmt, Dich! — Dir 
will es die Glückseligkeit eines ganzen, mächtigen, edeln Volkes 
anvertrauen, Dir! — Welch eine schreckliche Zukunft enthüllt 
sich mir! Du wirst Dein Volk mit Lorbeern und mit Elend 
überhäufen. Du wirst mehr Siege als glückliche Unterthanen 
zählen. — Wohl mir, daß meine Tage in die Deinigen nicht 
reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen 
Sohne! Du wirst es ihm schwerlich vergönnen, den Harnisch 
abzulegen — 
Philotas. Beruhige den Vater, o König! Ich werde Deinem 
Sohne weit mehr vergönnen! weit mehr! 
Aridäus. Weit mehr? Erkläre Dich — 
Philotas. Habe ich ein Räthsel gesprochen? — O, verlange 
nicht, König, daß ein Jüngling wie ich Alles mit ege 
und Absicht eden soll. — Ich wollte nur sagen: Die Frucht 
ist oft ganz anders, als die Bluͤthe sie verspricht. Ein weibischer 
Prinz, hat mich die Geschichte gehrt, ward oft ein kriegerischer 
König. Könnte mit mir sich nicht das Gegentheil zutragen? 
— Oder vielleicht war auch dieses meine Meinung, daß ich 
noch einen weiten und gefährlichen Weg zum Throne habe. 
Wer weiß, ob die Götter mich ihn vollenden lassen? — Und 
lass' mich ihn nicht vollenden, Vater der Götter und Menschen, 
wenn Du in der Zukunft mich als einen Verschwender des Kost⸗ 
barsten, was Du mir anvertrauet, des Blutes meiner Unter⸗ 
thanen, siehst! — 
Aridaus. Ja, Prinz, was ist ein König, wenn er kein 
Vater ist! Was ist ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne
	        
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