Full text: Nathan der Weise. (1854)

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Philotas. 4. Auftritt. 
dernichten; nur eine konnten sie nicht: die Schande! Zwar 
ene leicht verfliegende wol, die von der Zunge des Poͤbels 
strömt, aber nicht die wahre, dauernde Schande, die hier der 
—*3 mein unparteiisches Selbst, über mich aus⸗ 
spricht! — 
Ünd wie leicht ich mich verblende! Verliert mein Vater 
durch mich nichts? Der Ausschlag, den der gefangene Polytimet, 
wenn ich nicht gefangen wäre, — auf seine Seite brächte, der 
ist nichts? —. Nuͤr durch mich wird er nichts! — Das Glück 
haͤtte sich erklärt, für wen es sich erklären sollte; das Recht 
eines Vaters triumphirte, wäre Polytimet, nicht Philotas und 
Polytimet gefangen! — 
Und nun — welcher Gedanke war s, den ich jetzt dachte? 
Nein, den ein Gott in mir Maie — Ich muß ihm nachhängen! 
daff' Dich fesseln, flüchtiger Gedanke! geßzt denke ich ihn wie⸗ 
der! Wie weit er sich verbreitet und immer weiter, und nun 
durchstrahlt er meine ganze Seele! — 
Was sagte der König? Warum wollte er, daß ich zugleich 
selbst einen uͤnverdächtigen Boten an meinen Vater schicken sollte? 
Damit mein Vater Age argwohne — so waren ja seine eignen 
Woͤrte ich sei bereits an meiner Wunde gestorben. — Also 
meint er doch, wenn bereits an meiner Wunde gestorben 
waͤre, so würde die Sache ein gan anderes Ansehen gewinnen? 
Würde sie das? Tausend Dank in diese Nachricht/ Tausend 
Zant!uünd freilich! Denn mein Vater hatte alsdann einen 
gefangenen Prinzen, jur den er sich Alles bedingen koönnte; 
Ind der Koͤnig, sein Feind, hätte — den Leichnam eines gefange⸗ 
en Prinzen, für den er nichts fordern könnte, den er — ange 
begraben oder verbrennen uffen. wenn er ihm nicht zum Abscheu 
werden sollte. 
Gut! das begreif' ich! Folglich, wenn ich, ich elender Ge⸗ 
fangener, meinem Vater den Sieg noch in die Haͤnde spielen will, 
worauf kommt es an?, Aufs Sterben. Auf weiter nichts? — 
D fürwahr, der Mensch ist mächtiger, als er glaubt, der Mensch, 
der zu sterben weiß! 
Aber ich? Ich, der Keim, die Knospe eines Menschen 
weiß ich zu sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Nensch 
allein muß es wissen; auch der Juͤngling, auch der Knabe; 
oder er weiß gar nichts. Wer Abn Jaͤhre gelebt hat, hat zehn 
Jahre Zeit gehabt, sterben zu lernen; und was man in zehn
	        
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