Full text: Nathan der Weise. (1854)

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Ich trat ihn jeden Tag von neuem an; 
Ließ jeden Tag von neuem mich verhoͤhnen. 
Was litt ich nicht von ihm! Was hatt' ich nicht 
Noch gern ertragen! — aber lange schon 
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen 
Die unsers Auferstandnen Grab umscatten; 
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. — 
Ihr staunt? Ihr sinnt? 
Nathan. 
Ich überdenke mir, 
Was das auf einen Geist, wie Recha's, wohl 
Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht 
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen 
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen, 
Und doch so angezogen werden! — Traun, 
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken, 
Ob Menschenhaß, ob Schwermuth siegen soll. 
Oft siegt auch keines; und die Phantasie, 
Die in den Streit sich mengt, maͤcht Schwaͤrmer, 
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald 
Das Herz den Kopf muß spielen. — Schlimmer Tausch! 
Das Letztere, verkenn' ich Recha nicht, 
Ist Recha's Fall: sie schwärmt. 
Dajia. 
Allein so fromm, 
So liebenswuͤrdig! 
Nathan. 
Ist doch auch geschwärmt! 
Dazia. 
Vornämlich eine — Grille, wenn Ihr wollt, 
Ist ihr sehr werth. Es sey ihr Tempelherr
	        
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