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1878.
Ein trauriges Jahr für Deutschland, erfüllt von den Eindrücken
zweier Anschläge gegen das Leben seines Großen Kaisers. Nachdem
am 11. Mai zugleich mit der Kunde von dem ersten Attentat die—
jenige von der glücklichen Errettung des Monarchen eingetroffen,
und noch am 19. Mai ein Dankgottesdienst abgehalten worden war,
erfolgte am 2. Juni ein neuer Mordanschlag, und der Kaiser wurde
gefährlich verwundet.
Es war einer jener schwülen Wiesbadener Tage, als diese
erschütternde Kunde bei uns eintraf. Ueberall füllten sich die Straßen
sofort mit erregten Menschen, aber man hörte trotzdem selten ein
lautes Wort. Nur hören wollte ein Jeder, und fast instinktmäßig
strömten Alle dem „Nassauer Hofe“ zu, wo der einzige noch lebende
Bruder Seiner Majestät wieder seit dem 16. Mai Wohnung genommen
hatte. Drängte es einerseits einen Jeden, diesem, dem Herrscher
am nächsten Stehenden, ein Zeichen des Mitgefühls zu geben, so
hoffte man andererseits, an dieser Stelle die zuverlässigsten und
schnellsten Nachrichten über das Befinden des mit so schmählichem
Undank Belohnten zu erhalten. Bis tief in die Nacht stauten sich
dort noch die Menschen, mit banger Sorge die ihunen mitgetheilten
Nachrichten entgegennehmend.
Am 3. Juni wurde den Mannschaften der Garnison bei einem
zu diesem Zweck anberaumten Appell Mittheilung über die ruchlose
That gemacht. Noch erinnern an jene traurigen Tage in den
Kasernen die Bilder des Kriegsherrn mit der Inschrift:
„Oh, deutsches Volt, denk' stets daran,
Was Er für Dich und was man Ihm gethan!“
Am 5. Juni vereinigten sich beim Gottesdienst die Gebete von
Millionen für die Erhaltung des noch immer gefährdeten theuren
Lebens. Gott sei Dank! Die Energie und die Lebenskraft des
Kaisers überwanden die Verletzungen, und so war es unserem Armee—
korps beschieden, ihm noch in demselben Jahre zuzujubeln. Wir
aber, in Wiesbaden, hatten das Glück, den Wiederhergestellten drei
Wochen lang, vom 9. bis 20. November, in nächster Nähe zu wissen.
Durch A. K. O. vom 4. Juni wurde dem Kronprinzen die
Stellvertretung Seiner Majestät übertragen. Am 26. Juli traf die
Kronprinzessin mit den Prinzen und Prinzessinnen,“) am 30. Juli
*) Prinz Wilhelm traf erst am 9. August ein. Prinzeß Charlotte hatte sich
am 18. Februar mit dem Erbprinzen von Sachsen-Meiningen vermählt.