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Führer des Infanterie-Regiments Nr. 94 versetzt und Major
v. Below sein Nachfolger wurde, wurden die Verhältnisse in
Weilburg fast noch freundlichere, und der Feldzug 1870,71 sollte
beweisen, daß dieses Band der gegenseitigen Anhänglichkeit kein
iußeres geworden war, sondern festhielt auch in bewegter Zeit.
In Diez endlich war das Verhältniß zu der Bevölkerung sehr
schnell ein gutes, weil die Mannschaft zum Theil schon aus dieser
Gegend stammte und das Offizierkorpo mit mehreren früher
nassauischen Offizieren a. D., die dort lebten, in engeren Verkehr
trat und dadurch auch sonst gern gesehen war. Der Gasthof
„Holländischer Hof“, in welchem die unverheiratheten Offiziere
ihren Mittagstisch nahmen, ward bald ein gesuchter Vereinigungs—
punkt für Alle.
Ebenso eigenartig wie diese gesellschaftlichen Verhältnisse des
neuen Offizierkorps in seinen verschiedenen Garnisonen war auch
das Dienstleben des Regiments.
In Wiesbaden reichten die Kasernenräume nur gerade eben
aus, um die Kompagnie des J. Bataillons unterzubringen, in Weil—
burg war die Kaserne so klein und alt, daß schon deshalb alle dienst—
lichen Arrangements auf Schwierigkeiten stießen. In Diez bekam
eine Kompagnie (5.) noch die alte Kaserne aus nassauischer Zeit zum
Bewohnen, für die anderen Kompagnien war eine neue Kaserne erst
gebaut worden. Das Regimentsdienstzimmer in Wiesbaden wies
an Inventar nichts auf als Stühle und Tische und einige Regale
mit alten, längst vergessenen und vergilbten Akten aus nassauischer
Zeit. Der Regimentsschreiber war ein Unteroffizier, dessen Hand—
schrift von zwölf anderen als die am wenigsten schlechte befunden
worden war. Dazu kam der frühere Regimentsschreiber des kur—
hessischen Regiments, glücklicherweise ein recht kluger Kopf, aber
Original durch und durch und in seinen persönlichen wie dienstlichen
Eigenheiten einer weit abliegenden Vergangenheit angehörig. Nament—
lich war es bei ihm sehr schwer, die althessischen Floskeln im
Schreibwesen abzugewöhnen, und stets mußte der Adjutant ihn darin
überwachen, wollte er nicht selbst eines „Rüffels“ sicher sein. Der
Eifer und die Gewissenhaftigkeit dieses Unteroffiziers half freilich
über Vieles hinaus, wenn es ihm auch immer wieder schwer ankam,
sein „submissest, an vorhinnig hoher Stelle“ u. dergl. fortzulassen
und die preußischen Stichworte anzuwenden. Aehnlich lag es auch
bei den Bataillonen. In den Dienstzimmern derselben in Biebrich
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