Full text: Soldatenhandel

E. gibt gewisse historische Vorstellungen, die unausrottbar sind. Sieht der 
deutsche Durchschnittsphilister eine alte Ruine, so weiß er, daß „Raubritter“ 
darin gehaust haben, die ihre unglücklichen Opfer im „Burgverließ“ um— 
kommen ließen. Folterkammern ohne „eiserne Jungfrau“ sind kaum zu denken, 
und alle Hessen sind Enkel der „nach Amerika verkauften Landeskinder.“ 
Wenn man in Kassel einem auswärtigen Freund oder Bekannten die 
Sehenswürdigkeiten der Heimat zeigen möchte, dann spielen sich die Dinge 
fast regelmäßig nach folgendem Schema ab. 
Man geht über den Friedrichsplatz und sagt: Das ist der Landgraf Friedrich. 
„Aha“, sagt der Fremde, der einen alten Baedecker: studiert hat, voller 
Inkteresse, „das ist also der Kurfürst, der seine Unkerkanen nach Amerika ver— 
kauft hat.“ Der Kasselaner ärgert sich ein bißchen, schweigt aber, bis der 
Fremde auf Wilhelmshöhe, vor den Kaskaden und dem Herkules etwa, 
sagt: „Aha, das ist also alles aus dem Blutschweiß der verkauften Landes— 
kinder errichtet.“ Dann kann der Kasselaner nicht mehr an sich halten und 
platzt raus: „Das ist nicht wahr!“ und erhält die Anwort: „Na, hat denn 
Ihr Kurfürst seine Soldaten nicht nach Amerika geschickt?“ Dann muß der 
Hesse beschämt das zugeben und ist mit einem „Na, also!“ zum Schweigen 
gebracht. 
Wir Hessen müssen es ja zugeben, daß unsere Soldaten nach Amerika ge— 
schickt wurden, nicht nur nach Amerika, sondern in die ganze weite Welt, und 
alles Ableugnen, alles Vertuschen und Bemänteln hilft nichts. So hat man 
z. B. zur Verteidigung des Landgrafen Friedrich behauptet, die Stände 
hätten den Subsidienvertrag von 1776 veranlaßt. Das ist aber nicht wahr, 
die Stände hatten gar kein Recht, Subsidienverträge zu schließen. Sie haben 
nur darauf gedrängt, daß bei den Subsidienverträgen die materiellen In— 
teressen des Landes gewahrt würden, weshalb sie sogar einmal eine Depu⸗ 
tation nach London schicken wollten. Man kann nur sagen, daß die Stände 
Im neuen Baedecker ist der Passus — wenn ich nicht irre — auf Verwendung des hes—⸗ 
sischen Geschichtsvereins gestrichen. Dafür enthält die erste Ausgabe des viel verbreiteten 
Knauerschen Konversationslexikons zwar nicht den Namen „Kassel“, dafür aber die Wen— 
dung von den verkauften Hessen.“ 
2 Pfeiffer, Gesch. d. landständ. Verf. in Kurhessen (1834) S. 171.
	        
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