Full text: Sammelband

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Trennung von Körpergewebe ist eine Verschiebung der verletzten 
Teile. Unsere Gewebe sind mehr oder weniger elastisch. Wie ge— 
spanntes Gummi sind sie im Innern an den Knochen ausgespannt und 
aufgehängt. Die natürliche Folge ist, daß bei einer Durchtrennung 
die Enden auseinanderschnellen. Die durchschnittene Haut klafft, wie 
wir an jeder Schnittwunde erkennen können. Bohren wir mit einer 
drehrunden Ahle durch ein gespanntes Gummi, so entsteht in der 
Spannungsrichtung ein schlitzförmiger Spalt. So entsteht auch im Kör⸗ 
perinnern ein Schlitz, wenn ein spitzes Geschoß durch ein gespanntes 
Gewebe saust, etwa durch eine Sehne, die unter dem Zug 
des Muskels immer stark gespannt ist. Wird sie ganz 
durchtrennt, so schnellen die Enden zurück, einige Finger 
breit. Serschossene Muskelfasern weichen in ähnlicher 
Weise auseinander, die ganz durchtrennte Arterie, wie 
wir sahen, ebenso. Sehnige Häute, durchschossen, lassen 
oft nur einen engen Spalt erkennen. Die Nerven, dieses 
kunstvolle Kabel, gebildet aus Tausenden und Millio— 
nen der spinngewebsfeinen Fädchen, die die Befehle des 
Gehirns übermitteln, können durch ihr Bündel das Ge— 
schoß hindurchsausen lassen, ohne daß eine Verletzung 
sichtbar wäre. Aber die Leitung dieser Telegraphen— 
drähte wird durch die rohe Erschütterung erheblich ge— 
stört. Wird der Nerv teilweise oder ganz durchtrennt, 
so schnurren auch die Rervenenden auseinander. Es gibt 
aber auch unelastische Gewebe im Körper, Gewebe, 
die bei der Durchtrennung nur sehr wenig auseinanderweichen: Le— 
ber, Nieren, Gehirn. Da das Geschoß nun auf seinem wahllosen Ver— 
nichtungszuge bald elastisches, bald unelastisches Gewebe durchschlägt, 
so ist es klar, und wir haben täglich Gelegenheit, dies zu beobachten, 
daß der Wundkanal nicht regelmäßig geformt ist, sondern je nach der 
Elastizität des Gewebes, je nach dem Auseinanderweichen der ver— 
letzten Teile ein weiteres oder engeres Zertrümmerungsrohr bildet. 
Wenn rechte Heilung zustande kommen soll, müssen alle ver— 
letzten Teile wieder richtig aneinanderwachsen: Muskel an Muskel 
und Sehne an Sehne, Nerv an Nerv. Dann erst können auch die aus— 
gefallenen Leistungen sich wieder ersetzen. Man sieht ein, daß eine 
vollkommene heilung bei unregelmäßigem, hier engem, dort weitem 
Wundkanal ihre Schwierigkeiten hat. Am besten und klarsten sind
	        
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