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beengt wurde durch ererbte Anlagen, durch Erziehung, Umgebung
und Gewohnheiten, so sah er hier eine Kraft, die eine weitere er—
hebliche Cinschränkung des alten Grundsatzes bewirken mußte, der
lange für das dichterische Schaffen die Kichtschnur war. Schon früh
wandte sich das Interesse dieser Frage zu, und im Jahre 1800 ver⸗
öffentlichte Karl Emil Franzos, der herausgeber der „Deutschen
Dichtung“, die Gutachten einer Keihe von Forschern über die Frage
der Bedeutung der Suggestion für die Dichtung. Es kamen Forel,
Eulenburg, v. Krafft-Ebing u. a. zu Wort. Die Zusammenstellung
ist von besonderem Werte, da neben den vorsichtig urteilenden Gut—
achten der Sachkenner auch solche von schroffster Ablehnung durch
Nichtkenner stehen, die uns heute zeigen, wie falsch auf anderen Ge—
bieten hochverdiente Forscher, z. B. du Bois-Reymond und v. helm⸗
holtz, unter dem suggestiven Vorurteil über neu auftauchende Fragen
urteilen können.
Die aktive Rolle der Suggestion und der hypnose in der Kunst
ist nicht sehr groß. Die Erzählungen von hervorragenden Kunst—
leistungen im hypnotischen Zustande gehören in das Reich der Fabel.
Wir haben ja schon betont, daß in der Hypnose wohl eine gewisse
Steigerung der wachen Fähigkeiten statthaben kann. Vollständig
Neues aber vermag der Hypnotisierte nicht zu leisten. Sweifellos
kann nun durch den Fortfall der Hemmungen eine bessere Leistung
in der Hypnose unter gewissen günstigen Voraussetzungen erzielt
werden. Als Beispiel dafür können wir die von v. Schrenck-Notzing
eingehend beobachtete Traumtänzerin Magdalene G. anführen,
die im hypnotischen Zustande tatsächlich eine besondere ausdrucks—
volle Tanzkunst vorführte, deren sie im wachen Zustande nicht
mächtig war. Im übrigen ist allen solchen Angaben gegenüber das
größte Mißtrauen am Platze. Damit ist natürlich die große Be—
deutung nicht verkannt, die die Autosuggestion beim Schaffen des
Künstlers hat. Sie kann ihn als treibende Kraft in die Stimmung
hineinsteigern, deren er zum Schaffen seines Werkes bedarf.
Bei der Besprechung der Massensuggestion haben wir schon die
Bedeutung des suggestiven Elementes für die Bildung einer Ge—
schmacksrichtung im Publikum betont. Kunstrichtungen wer—
den oft auf suggestivem Wege geschaffen. Der suggestive Cinfluß
der offiziellen Kunstkritik bei der Schaffung eines Runstideals ist