Full text: Sammelband

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Selbst viele Arzte legen sich darüber keine Rechenschaft ab, daß 
bei der ganzen ärztlichen Tätigkeit das suggestive Moment stark in 
den Vordergrund tritt. Der Arzt wirkt als Persönlichkeit auf den 
Kranken, und der darin liegende seelische Faktor ist in seinem Ein— 
fluß auf die Heilung nicht zu unterschätzen. Das Erscheinen des 
kArztes, sein beruhigender Zuspruch vermag auf den Patienten, dessen 
volles Vertrauen er hat, einen wohltätigen Einfluß auszuüben. Das 
seelische Gleichgewicht des Kranken wird wiederhergestellt. Seine 
Stimmung hebt sich, die Angst wird von ihm genommen. Diese 
wertvolle moralische Hilfe führt indirekt zu einer Hebung des All— 
gemeinbefindens. Der Appetit wird gehoben, und nun ist der Pa— 
tient auch wieder mehr geneigt, die sonstigen Anordnungen des 
EArztes gewissenhaft zu befolgen. Gelingt es ihm, dem Kranken die 
Vorstellungen beizubringen, die er ihm im Interesse seiner heilung 
beibringen muß, so ist oft mehr gewonnen als Medikamente zu 
leisten vermögen. In unserer Zeit des Spezialistentums wird dieses 
Moment der seelischen Behandlung leider meist allzusehr vernach— 
lässigt. Die Folge davon ist, daß ein großer Teil von Kranken den 
Kurpfuschern zuströmt, die den suggestiven Faktor oft meisterhaft 
für ihre Zwecke auszunutzen verstehen und deren manchmal nicht 
wegzuleugnende Erfolge der suggestiven Beeinflussung zugeschrieben 
werden müssen. Wie weit die Vorstellungen den körperlichen Zu—⸗ 
stand eines Menschen beeinflussen können, das habe ich einmal 
prächtig an einem jungen Mediziner beobachtet. In der Klinik hatte 
er eine eingehende Besprechung der Anfangserscheinungen der Lun— 
gentuberkulose gehört. Er glaubte nun, bei sich selbst die ersten 
Anzeichen dieser Erkrankung feststellen zu müssen. Dieser Gedanke, 
der übrigens jeder Grundlage entbehrte, bedrückte ihn so, daß er in 
kurzer Zeit einen beängstigenden körperlichen Verfall zeigte. Die 
Autosuggestion, krank zu sein, war die Ursache, und es dauerte 
lange, bis er die Folgen dieser Einbildung überwunden hatte. Die 
herrschaft der Seele über den Körper geht eben weiter als man 
gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. In weitgehendem Maße muß 
der Arzt dieser Tatsache bei seinen Untersuchungen und vor allem bei 
seiner Voraussage des Krankheitsverlaufes Rechnung tragen. Schon 
oft ist durch eine besorgte Miene bei der Untersuchung und durch ein 
unbedachtes Wort Schaden angerichtet worden. Auch die Frage: 
Sanders, Hypnose und Suggestion. 5
	        
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