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fehlt heute den Behörden eine richtige Einschätzung des suggestiven
Faktors bei gerichtlichen Vernehmungen noch fast ganz. Es werden
vielfach durch Suggestivfragen Antworten in den Zeugen herein—
examiniert. Die Zahl derer, die im guten Glauben unter ihrem Eide
eine falsche Aussage machen, ist viel größer als man für gewöhnlich
annimmt. Suggestion und Autosuggestion spielen hier eine verhäng—
nisvolle Rolle. Besonders Liégeois hat hierauf hingewiesen und
eine Reihe interessanter Fälle zusammengestellt. Erwähnt sei die
berühmte Affäre La Roncière. Eine hysterische Generalstochter be—
schuldigte den CLeutnant de la Roncière, sie nachts in ihrem Zimmer
überfallen und den Versuch einer Vergewaltigung unternommen
zu haben. Trotzdem es sich nach Ansicht der Sachverständigen ohne
zweifel um hysterische Wahngebilde handelte, wurde der Leutnant,
da verschiedene Umstände zu seinen Ungunsten sprachen und da die
mit Bestimmtheit vorgebrachten Aussagen der Zeugin auf die Ge—
schworenen den Eindruck der Wahrheit machten, vom Gericht für
schuldig erblärt und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Viele
hsterische sind mit ihrer durch Autosuggestion hervorgerufenen
cügenhaftigkeit geradezu gemeingefährlich, da sie bei jedem, der
mit diesem Gegenstande nicht vertraut ist, mit dem bestimmten Vor—
trage ihrer Phantasiegebilde, an die sie selbst glauben, den Eindruck
größter Wahrhaftigkeit erwecken, besonders da ihnen meist ein gut
Teil schauspielerisches Talent zukommt. Eine große Gefahr bedeuten
auch die Kinderaussagen vor Gericht, die nach der reichen Erfahrung
von hans Groß geradezu erschreckend unzuverlässig sind. Beson—
ders das junge Mädchen wird in seinen Aussagen, wenn es sich als
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit fühlt, durch seine Phantasieaus—
sagen gefährlich. Deshalb sind auch die so oft gegen Lehrer von
Schülerinnen erhobenen Beschuldigungen von sittlichen Verfehlun—
gen nur mit allergrößter Vorsicht aufzunehmen. Die Unkenntnis
dieser Dinge hat schon manchen Unschuldigen schwerer Bestrafung
zugeführt. Über die Beeinflussung der Zeugenaussagen durch die
Berichte der Zeitungen hat v. Schrench-Notzing in dem Raub—
mordprozeß Berchtold interessante Angaben gemacht. Da die Er—
mittlungen nach dem Täter ohne Erfolg geblieben waren, so be—
gannen die Münchener Blätter, sich an den Nachforschungen zu be—
teiligen. Täglich erschienen Notizen über den Stand der Angelegen—⸗