Full text: Sammelband

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keiten stoßen muß, ist ohne weiteres klar. Die größte Vorsicht, ja 
ein weitgehendes Mißtrauen ist allen solchen Angaben gegenüber 
am Platze, denn es beginnt schon Schule zu machen, daß Verbrecher 
zu solcher Ausrede greifen, um sich der Strafe zu entziehen. Bei 
politischen Morden und Verbrechen sind solche suggestiven Einflüsse 
oft leicht zu erbennen, und es läßt sich der Nachweis führen, daß 
hier suggestible Menschen durch Verhetzung und durch unverdaute 
Ideen so weit fanatisiert wurden, daß sie ihre Tat unter unwider— 
stehlichem Zwange ausführten. Interessant ist ein von v. Schren ck⸗ 
Notzing ausführlich geschilderter Fall, der im Oktober 1899 vor 
dem Schwurgericht in München verhandelt wurde. Dort hatte sich 
die Ehefrau des Metzgers Sauter wegen Mordversuchs und An— 
stiftung zu neunfachem Morde zu verantworten. Sie hatte unter 
dem Einfluß einer Wahrsagerin, der sie in blindem Aberglauben 
ergeben war, gehandelt. v. Schrenck-Notzing berichtet darüber: „Die 
hauptverhandlung ließ keinen 3weifel darüber, daß die Wahrsagerin 
der eigentlich schuldige Teil sei. Durch ihre Schwindeleien hatte sie 
die leichtgläubige, ihrem Einfluß ganz verfallene Angeklagte zu 
überzeugen vermocht, daß es ihr ein leichtes sei, alle ihr unbequemen 
Personen eines natürlichen Todes sterben zu lassen und ihr erst auf 
diese Weise den ganzen Mordplan — wenn auch unabsichtlich — 
suggeriert. Als diese Ideen in der Angeklagten Wurzel faßten, 
brachte die Prophetin ihr Opfer bei der Polizei zur Anzeige und 
veranlaßte Frau Sauter, den ganzen Mordplan noch einmal zu 
besprechen sowie eine Liste der dem Tode geweihten Personen auf— 
zusetzen, so daß im Nebenzimmer versteckte Detektive alles hören 
zonnten und schließlich als Hauptbelastungszeugen in der Hauptver— 
handlung auftraten.“ 
„Während die Gutachten von Messerer und Focke zu dem Schluß 
kamen, daß Frau Sauter im Besitze ihrer freien Willensbestimmung 
gewesen, führte das von mir abgegebene Gutachten den Nachweis, 
daß die Angeschuldigte, verführt durch die Kartenschlägerin, im Zu— 
stande suggestiver Abhängigkeit deren Ideen zur Ausfüh— 
rung gebracht habe, daß also ihre Zurechnungsfähigkeit infolge von 
hysterie, infolge ihres Klimakteriums (Wechseljahre) sowie infolge 
abergläubischer Vorstellungen erheblich herabgemindert sei.“ 
Auf Grund dieses Gutachtens sprachen die Geschworenen die
	        
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