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so reißt er schnell immer mehr mit sich. Bald sieht der Verliebte
nur noch die guten Eigenschaften und Vorzüge, aller Schatten schwin⸗
det. Der deutsche Sprachgebrauch hat für diesen Sustand das Wort
„Liebesrausch“ geprägt. Man ist sogar so weit gegangen, die Liebe
als eine Art akuter Derrücktheit Paranoia acuta) aufzufassen. In
seinem Buche „Liebe und Pfychose“ sucht der Nervenarzt Dr. Georg
Comer allen Ernstes dafür den Beweis zu führen. Wir müssen diesen
Versuch, einer besonderen Erscheinung unseres Geisteslebens den
Stempel der Geisteskrankheit aufdrüchen zu wollen, energisch ab—
lehnen, wenn wir uns damit auch nicht der Tatsache verschließen
wollen, daß Leute mit einer schwankenden Psyche durch die Erschüt⸗
terungen, welche die Liebe in ihr Leben bringt, aus ihrer normalen
Bahn geworfen werden können. Hier gibt die Liebe den Anstoß zum
fusbruch einer Geisteskrankheit, ohne darum selbst krankhaft
zu sein.
Die Suggestionslehre hat hier ganz andere Zusammenhänge ge⸗
zeigt. Der Zustand der Verliebtheit zeigt nämlich in seinen wesent—
lichen Zügen eine ganz überraschende hnlichkeit mit den Zuständen
leichter Hypnose. Wir heben das Bezeichnendste hervor. Wie der
Hypnotisierte, verliert der Mensch durch die Liebe die Fähigkeit zu
klarer und scharfer Kritik. Er wird zu einem Träumer, den Trug—
bilder umgaukeln. Das Unterscheidungsvermögen für die Wirü—
lichkeiten des Lebens, eigene Vorstellungen und Phantasiegebilde
wird ganz beträchtlich abgestumpft. Eigenschaften, die der CLiebende
seiner Partnerin wünscht, spricht er zu ihr, ohne daß sie auch nur
in einer Andeutung vorhanden sind. Dabei erregt die sexuelle Zu—
neigung oft die persönlichen Sympathiegefühle, und diese wirken
wieder rückläufig verstärkend auf den Trieb. Alle Gegenvorstel⸗
lungen werden so allmählich niedergehalten und durch Suggestions
wirkungen ausgeschaltet. Nur durch das Medium seiner Liebe sieht
der Verliebte noch die Welt. Sein Seelenleben stellt sich ganz auf
den geliebten Gegenstand ein, und das Bewußtsein erfährt eine deut—
liche Einengung in dieser Richtung. Als Ausdruck dieser Einstellung
der Seele erscheint die Zwangsvorstellung, daß das Leben ohne die
Geliebte schal und öde sei. Durch immer weitergehende suggestive
Steigerung entsteht das in seinen ausgeprägten Formen so seltsam
anmutende Bild des Liebesrausches, in dem wir dann eine Umwer—