Full text: Sammelband

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wird unser held zum Mittelpunkt der Menge, die stumpf die Wun— 
derdinge anstarrt, die ihr feilgeboten werden. Nach einigen Mi— 
nuten beginnt man schon die Sachen zu kaufen, die der Händler den 
Leuten als schön und billig suggeriert hat.“ Wer solche Straßen— 
händler öfter beobachtet, der wird feststellen, daß auf diese Weise 
der größte Schund und der nutzloseste Plunder in unglaublichen 
Mengen an den Mann gebracht werden kann. 
Der bei der Massensuggestion ablaufende seelische Mechanismus 
läßt fich besonders gut an dem Verhalten der Menge bei großen 
Volksversammlungen erkennen. Jedem Beobachter wird es auf— 
fallen, wie leicht solche Menschenansammlungen nur einigermaßen 
geschictt gegebenen Suggestionen folgen. Warum gerät nun die 
Menge so leicht unter die herrschaft des Redners und Führers? 
Der Vorgang läuft so ab: Die ganze Aufmerksamkeit der Zuhörer 
richtet sich auf den Redner und seine Worte. Aber schon nach kurzer 
SZeit ermüdet die angespannte Aufmerksamkeit, und in diesem Sta— 
dium ist der Boden bereitet für das Eindringen von Suggestionen. 
Jetzt wird das Gehörte nicht mehr kritisch betrachtet, sondern es 
dringt ohne Kontrolle der Aufmerksamkeit in die Seelen der hörer 
ein. Ist erst eine Anzahl im Sinne des Redners beeinflußt, so 
können begeisterte Zwischenrufe schnell auch die übrigen unter ihren 
Bann bringen. So kann die Menge unter Umständen zu einem 
blinden Werkzeug ihres Führers werden. Solchen Volksführern im 
guten wie im schlechten Sinne ist die Gabe zu Massenbeeinflussung 
meist als ein Instinkt angeboren. Meisterhaft hat solchen geborenen 
Suggestor der Menge Mereschkowski sin seinem berühmten histo— 
rischen Romane aus der Wende des 15. Jahrhunderts: „Leonardo da 
Dinci“ geschildert. Seine Schilderung der Predigt des Priors von 
San Marco, des Girolamo Savonarola, zeichnet die suggestive Wir— 
kung besonders gut. „Giovanni sah, wie ein Mann in dem schwarz 
und weißen Kleide der Dominikaner, das mit einem Strick um— 
gürtet war, langsam die Kanzel bestieg und die Mönchskappe vom 
Kopfe nahm. Sein Gesicht war abgemagert und gelb wie Wachs, 
er hatte wulstige Lippen, eine Adlernase und eine niedrige Stirn. 
Die linke Hand stützte er kraftlos auf die Kanzel, die rechte, mit 
der er das Kruzifix umklammerte, hob er in die höhe und streckte 
sie vor. Schweigend überflog er die Menge mit flammenden Blicken. 
Es herrschte eine Stille, daß jeder sein herz schlagen hören konnte.
	        
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