— 46 —
hat zu der überraschenden Erkenntnis geführt, daß die große Mehr—
zahl der sog. „freien“ Menschen den suggestiven Einflüssen ihrer
Umgebung widerstandslos unterliegt. Die Suggestion wirkt nicht
auf den einzelnen allein, sondern sie entfaltet ihre Kraft auch ganzen
Volksschichten gegenüber. Sie kann gleichsam eine geistige Infek—
tion bedingen, und diese seelische Ansteckung vermag oft tiefgrei—
fendere Umwälzungen hervorzubringen als körperliche Krankheits—
erreger. Diese Massensuggest ion ist von größter sozialer Be—
deutung, und man kann sagen, daß sie ein bewegender Faktor des
Menschengeschickes ist, dem an Massenwirkung nicht viel Gleich—
wertiges an die Seite zu stellen ist. Die Suggestion beherrscht und
lenkt die Masse in viel gröäßerem Maße, als dies gesunde Logik und
ruhiges Überzeugen zu tun vermögen. Mit hilfe der Suggestions—
lehre haben wir das Gesetz der psychischen Massenwirkung erkannt.
Zum Verständnis dieser Erscheinungen ist von Bedeutung, daß
wir uns die unwillkürlichen gegenseitigen Beeinflussungen ins Ge—
dächtnis zurückrufen, die wir täglich beobachten können. Wir er—
innern an die Nachahmung, die das Gähnen meist findet, an den
Sstimmungsumschwung, den ein einzelner bei einer ganzen Gesell—
schaft oft fast augenblicklich hervorrufen kann. Ein paar Neugierige
an einer Straßenecke ziehen unweigerlich weitere an. Dafür ist das
Folgende charakteristisch. Der Frankfurter Generalanzeiger brachte
am 18. März 1921 folgende Notiz: „Am Goetheplatz stand gestern
abend eine große Menschenschar, die neugierig nach dem himmel
blickte. Ciner wies mit dem Finger in die Hhöhe, wo in fabelhafter
Entfernung — ein Sternlein blinkte. „Sehen Sie da oben den
Stern mit dem Schweif?“ rief der Deuter. Und man starrte hinauf,
stumm, starr, sprachlos. „Aber der Schweif ist ja nicht zu sehen,“
meint schließlich ein Vorwitziger. „Ja, der steckt hinter dem Stern,“
lautete die salomonische Auskunft, und alles lachte, grinste und
freute sich, daß man wieder einmal hereingefallen war.“ Das Ex—
periment dieses Spaßvogels ließ sicher eine Reihe der empfänglichsten
Zuschauer schon den geschilderten Kometenschweif sehen. Sehr schön
beschreibt B. Sydis eine besondere Art der Massensuggestion. „Auf
der Straße, auf dem Trottoir an einem großen platz bleibt ein
händler stehen und gibt einen ganzen Strom von Geschwätz von
sich, schmeichelt dem Publikum und preist seine Ware an. Die Vor—
übergehenden sind neugierig geworden, sie bleiben stehen. Alsbald