Full text: Sammelband

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wählt man gern nach Norden liegenöe, sonnenlose Käume. Noröo⸗ 
zimmer bilden sogar im Sommer eine große Annehmlichkeit. Goethe 
ließ sich an seinem an der Nordwestecke des Weimarer hauses ge— 
legenen Schlafzimmer das Westfenster zumauern und sperrte dadurch 
die Sonne ab, nicht aber das Licht. 
In den meisten Fällen wird die Lichtlosigkeit einer Wohnung 
nur ein Punkt unter den verschiedenen sein, die sie gesundheitsschäd— 
lich machen. Armut, schlechte Ernährung, mangelhafte Kleidung, An⸗ 
strengungen des Berufes, Sorgen stehen gewöhnlich in Wettbewerb 
mit der Überfülltheit, dem Luft- und Lichtmangel, der Unsauberkeit 
des Raums, ohne daß man sagen kann, dieser oder jener Punkt sei 
vor allen entscheidend. Die Sterbestatistik, die einheitlich ergibt, daß 
in den Vierteln mit größerer Wohndichte mehr Todesfälle vorkom⸗ 
men als in den dünnbevölkerten, sagt eigentlich nichts anderes, als 
daß Arme dem vorzeitigen Tode mehr ausgesetzt sind als Reiche. 
In gewissen Großstadtvierteln, wo sich die häuser gegenseitig 
das Licht wegnehmen, nur selten ein Sonnenstrahl in die engen 
Hhõfe, die schmalen Gassen fällt, wo das Elend aus den kahlen Sen—⸗ 
stern, dem Schmutz der finsteren hausflure spricht, ist den Bewoh— 
nern das Zeichen des Proletariats aufgeprägt, das sich nicht nur in der 
völligen Vernachlässigung des Außern, sondern auch in der blassen, 
grauen Hautfarbe, dem trüben, matten Blick, der Schlaffheit des 
Körpers ausdrückt. Diese Blutarmut nur auf das Wohnungselend 
zurückzuführen, sind wir nicht berechtigt. Wohl aber wirken un— 
hyygienische Wohnungsverhältnisse bei ihrer Entstehung wesentlich mit. 
Wie soll ein Kind gedeihen, das in engen, überfüllten Räumen nur 
verderbte CLuft einatmet, das nur von Unsauberkeit umgeben ist 
und seine Erholungsstunden in finsteren höfen und Gassen verlebt? 
Das zur Nachtzeit in Betten schläft, die womöglich tagsüber von Schlaf— 
gängern benützt waren, das die schmutzige Lagerstätte fast regelmäßig 
mit mehreren seinesgleichen teilen muß? An 20000 Schulkindern 
in hannover wurde festgestellt, daß die aus der äußeren Stadt mit 
ihren breiten Straßen und günstigen Wohnungen stammenden im 
Durchschnitt 3 Pfund mehr wogen als die gleichaltrigen, die ihr Heim 
im Innern hatten, wo die Straßen eng, die häuser dichter bevölkert 
waren. Die Schulleistungen der Kinder waren unmittelbar abhängig 
von ihren Wohn⸗- und Schlafverhältnissen. Gleiches ergab sich auch an 
anderen Orten. In der vom Verbande der Bakuer Naphthaindustriel⸗
	        
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