Full text: Sammelband

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zuführen. Tissis berichtet von einer 43jährigen Srau, die längere 
Zeit an Angstträumen litt, sonst aber sich gesund fühlte; der Urzt 
stellte jedoch eine beginnende herzerkrankung fest, der sie schließlich 
erlag. Bei dieser Frau sind die Angstträume bereits als Krankheits— 
zeichen aufzufassen. Vor Migräneanfällen hatte Moebius einige— 
mal so aufregende Träume, daß er im Schlafe weinen mußte und 
weinend aufwachte. 
Der erfahrene Arzt kann also aus Träumen mitunter wert⸗ 
volle Schlüsse auf die Art der Krankheit ziehen. Freud hat die 
Traumdeutung bei Nervenkranken zu einem förmlichen System aus- 
gebaut. Die psychoanalytische Traumdeutung beruht auf 
dem Verfahren, daß dem Patienten nicht der Traum als Ganzes, son⸗ 
dern zerstückt und in seine Teile zerlegt gegenübergestellt wird. Jede 
Cinzelheit, und mag es der unwesentlichste Nebenumstand sein, wird 
zu den Erlebnissen des Patienten in Beziehung gesetzt, jeder Zu⸗ 
fammenhang bis ins kleinste hinein verfolgt. Rus diesen Zusammen- 
hängen werden dann Fingerzeige gewonnen, wie der Kranke zu be— 
handeln ist. Die pfychoanalytische Traumdeutung erfordert eine 
monatelange Berührung mit dem Patienten. Der Arzt muß nicht 
nur in sein äußeres Leben bis in alle Einzelheiten zu dringen suchen, 
auch die tiefsten Seiten seines Seelenlebens müssen offen vor ihm da— 
liegen Der Patient darf ihm nichts verhehlen, auch die verborgensten 
sexuellen Regungen muß er dem Arzte mitteilen, wenn er richtig 
beurteilt werden will. Alles, was ihm während des Zusammenseins 
mit dem Arzte einfällt, ob es ihm als Ernst oder als Blödsinn erscheint, 
muß er offenbaren. Er gerät schließlich in völlige geistige Abhängig— 
keit vom Arzte, der auf diese Weise eine Macht über ihn gewinnt, die 
ihn in den Stand setzt, seelische Unregelmäßigkeiten und geistige Ent— 
gleisungen mit Leichtigkeit zu regein. Besonders die ersten Träume 
während der Behandlung sind für den zukünftigen Verlauf von be— 
sonderer Wichtigkeit. — Verallgemeinert kann die Freudsche Me— 
thode nie werden. Demjenigen Arzte jedoch, der sie zu benutzen ver— 
steht, bietet sie eine Gelegenheit, seelisch auf einen Patienten einzu—⸗ 
wirken, wie sie günstiger kaum gedacht werden kann. 
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