Full text: Sammelband

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von Umständen, die dem Träumenden bereits in Sleisch und Blut 
übergegangen sind. Es wurde jetzt vor Ausbruch des KUrieges von 
Träumen berichtet, die den Krieg verkündeten. Das war aber nicht 
zu verwundern, denn der Krieg lag doch geraume Seit schon sozusagen 
„in der Luft“. Träumt man vom Tode eines zur Zeit Schwerkranken, 
so ist es klar, daß sich auch das Gedankenleben des Tages schon mit 
dieser Vorstellung vertraut gemacht hat, also auch nicht zu verwun— 
dern, wenn sie auch im Traume wiederkehrt. 
Auf solchen Traum wird aber in der Kegel nur dann zurück— 
gegriffen, wenn das verkündete Ereignis wirklich eintritt. Zehn⸗ 
tausende und hunderttausende von Träumen, die unter gleichen Be— 
dingungen geträumt werden, werden einfach vergessen, weil ihre 
Erfüllung ausbleibt, während nur in gewissen Fällen die Ereignisse 
dazu anregen, sie, wenn sie schon fast vergessen sind, an das Tageslicht 
zu ziehen. Das Gedächtnis hat dann gewöhnlich nachgelassen, und 
nun wird das Fehlende ergänzt, aber nicht auf Grund des Geträum⸗ 
ten, sondern des Geschehenen. Es braucht gar nicht einmal eine ab— 
sichtliche Täuschung vorzuliegen. Ohne daß der Betreffende es will, 
kommen, beeinflußt durch das inzwischen Geschehene, solche Vor— 
stellungen, die Beziehungen schaffen und in der Erinnerung an die 
Stelle der vergessenen Traumvorstellungen treten. Die Phantasie 
ist eine viel treuere Lebensgefährtin als der Verstand. 
Man muß also bei der Beurteilung der weissagenden Träume 
unbedingt daran festhalten, daß regelmäßig die verschiedensten Irr— 
tümer unterlaufen; die meisten beruhen auf der Berichterstattung, 
die, wie wir gesehen haben, selbst unmittelbar nach dem Traum schon 
einen großen Grad von Unzuverlässigkeit hat; Schil ler z. B. hält 
es für beinahe unmöglich, etwas Gesehenes ganz und geradeso 
wiederzugeben, wie man es gesehen hat. Niemand, der den weis— 
sagenden Traum als eigenes Erlebnis berichtet, ist unparteiisch. 
Nicht immer liegt bei einem weissagenden Traum eine Erinne— 
rungsfälschung vor. Zumal bei den schon erwähnten sog. offen— 
barenden Träumen, in denen uns ein wertvoller Aufschluß zuteil 
wird, z. B. über verlorene Gegenstände, handelt es sich um Vorstel— 
lungen aus dem Unterbewußtsein, die im Schlafe hervortreten. Leh⸗ 
mann berichtet: Ein Herr vermißte einen Schlüsselbund. Er fand 
ihn trotz sorgfältigen Suchens nicht. Nachts aber träumt er, daß er auf 
einer Bank im Garten sitzt und neben ihm an einem Holunderzweig der 
vermißte Bund hängt. Die Wirklichkeit bestätigt, was der Traum
	        
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