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legung! In den nordischen Sagen findet man vielfach Berichte von
Träumen.
Das Nibelungenlied enthält ebenfalls Beweise dafür, daß
den Träumen und ihrer Auslegung großer Wert beigelegt wurde.
Wir wollen uns Kriemhilds Traum vor Siegfrieds Ermordung ins
Gedächtnis zurückrufen:
sie sprach da zu dem Recken: „Caßt Euer Jagen sein!
Mir träumte nächtlich Ceides, wie Cuch zwei wilde Schwein'
Auf grüner Heide jagten, — da wurden Blumen rot!
Daß ich so bitter weine, das tut mir armem Weibe not!“
Ein Traum mit peinvollem Inhalt bedeutete zu allen Zeiten
eine Warnung. Als Pilatus „auf dem Kichtstuhl saß, schickte sein Weib
zu ihm und ließ ihm sagen: ‚Habe du nichts zu schaffen mit diesem
Gerechten, ich habe heute viel erlitten im Traum von seinetwegen'.“
Matth. 27, 19.)
Das Christentum änderte zunächst gar nichts an der heid—
nischen Auffassung vom Traum und dem Glauben an prophetische
Träume. Der Tempelschlaf, von dem oben gesprochen wurde, blühte
noch bis über das sechste Jahrhundert hinaus im christlichen Kon—
stantinopel. Die Kranken schliefen nachts in bestimmten Kirchen und
warteten dort auf die guten Katschläge, die ihnen die Heiligen Damian
und Kosmas, die das Erbe von Apoll und üskulap angetreten hatten,
erteilen sollten.
Als später die einst schon bei den ügyptern und Babyloniern
hochangesehene Sterndeuterei wieder zur Geltung kam, wurden auch
die Träume zu den Stellungen der Gestirne in Beziehung gesetzt.
Der katalonische Arzt Arnald v. Villanova(f 1311) erkannte die
Traumdeuterei, besonders die astrologische Traumprophetie, als
Wissenschaft an.
Erst allmählich begann der Glaube an die weissagende Kraft der
Träume abzunehmen. Noch Melanchthon aber kann sich nicht
pöllig von ihm losmachen. Er träumte von einem Kraut, das sich
angeblich früher bei einer Augenkrankheit bewährt hatte, und emp⸗
fahl es; aber die Nachprüfung durch ärzte ergab, daß es durchaus
nicht die Erwartungen erfüllte.
Daß wir in den Werken der Dichter oft auf weissagende
Träume stoßen, ist nicht erstaunlich. Sie werden öfters verwertet,
um auf kommende Ereignisse vorzubereiten, sie einzuleiten. In den
Dramen läßt sich dadurch der Eindruck der Geschehnisse oft gewaltig