44
zur Deutung vorgelegt wurden. Bald aber spaltete sich vom Priester—
beruf ein besonderer Craumdeuterstand ab. Im ganzen Alter—
tum, bei den orientalischen Völkerschaften noch weit darüber hinaus,
standen die Traumdeuter in hohem Ansehen.
In der Bibel eifert zwar Moses gegen die Traumdeuterei, doch
weiß ein jeder, welche große Bedeutung gerade bei den alten Juden
die Träume hatten. Ich erinnere an Abrahams, an Jakobs Träume.
Geschickte Traumdeuter, wie Joseph, Daniel, gelangten durch ihre
Kunst zu beispiellosem Ansehen. Nur vereinzelt werden in den bibli—
schen Büchern Stimmen laut, die einen aufgeklärteren Standpunkt
gegenüber den Träumen haben. Im prediger Salomonis heißt es
(Kap. 5, Vers 6): „Wo viele Träume sind, da ist Eitelkeit und viele
Worte.“ Und Jesus Sirach sagt: „Wer auf Träume hält, der greift
nach dem Schatten und will den Wind haschen. Träume sind nichts
anderes, denn Bilder ohne Wesen.“ Aber eine Einschränkung macht
auch Jesus Sirach, indem er sagt: „Und wo es nicht kommt durch Ein⸗
gebung des Höchsten, so halte nichts davon.“ Bei aller freien Anschau—
ung erkennt er also doch an, daß die Träume von überirdischer Seite
beeinflußt werden können.
Das eigentliche Land der Traumdeuter war Babylonien. Das
ganze Leben richtete sich dort nach den Träumen und deren Aus—
legung. Sie wurden in enge Beziehung zur Sterndeuterei gebracht.
Bezeichnend für die große Bedeutung der Träume und ihrer Aus—
legung im alten Babylonien — Chaldäa — ist, daß der Ausdruck
Chaldäer noch lange Zeit nach dem Untergange des Reichs, auch bei
den römischen Klassikern, z. B. Strabo, schlechtweg als Bezeichnung
für Zeichen- und Traumdeuter angewandt wurde. Aus herodots
Erzählungen geht hervor, daß auch die Perser ihr Tun zum großen
Teil von den Träumen abhängig machten. Xerrxes wird durch einen
Traum bestimmt, gegen Griechenland zu Felde zu ziehen.
Ein großer Teil der mohammedanischen Lehre baut sich auf den
CTräumen des Propheten auf. Wir finden in den osmanischen Sagen
ebenfalls bedeutsame Träume, die dem Geschlechte seine Zukunft vor—⸗
hersagen. Auch in Indien blühte die Traumdeuterei, wovon noch
Traumschlüssel uns Kunde ablegen.
Allmählich wurde die Traumdeuterei eine förmliche Wissenschaft.
Es ist uns das Traumbuch des Artemidoros von Daldis (136 bis
200 n. Chr.) erhalten, eines Zeitgenossen des römischen Kaisers Mark
Aurel. Voraussetzung für die Deutung eines Traumes ist nach Arte⸗