Full text: Sammelband

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zur Deutung vorgelegt wurden. Bald aber spaltete sich vom Priester— 
beruf ein besonderer Craumdeuterstand ab. Im ganzen Alter— 
tum, bei den orientalischen Völkerschaften noch weit darüber hinaus, 
standen die Traumdeuter in hohem Ansehen. 
In der Bibel eifert zwar Moses gegen die Traumdeuterei, doch 
weiß ein jeder, welche große Bedeutung gerade bei den alten Juden 
die Träume hatten. Ich erinnere an Abrahams, an Jakobs Träume. 
Geschickte Traumdeuter, wie Joseph, Daniel, gelangten durch ihre 
Kunst zu beispiellosem Ansehen. Nur vereinzelt werden in den bibli— 
schen Büchern Stimmen laut, die einen aufgeklärteren Standpunkt 
gegenüber den Träumen haben. Im prediger Salomonis heißt es 
(Kap. 5, Vers 6): „Wo viele Träume sind, da ist Eitelkeit und viele 
Worte.“ Und Jesus Sirach sagt: „Wer auf Träume hält, der greift 
nach dem Schatten und will den Wind haschen. Träume sind nichts 
anderes, denn Bilder ohne Wesen.“ Aber eine Einschränkung macht 
auch Jesus Sirach, indem er sagt: „Und wo es nicht kommt durch Ein⸗ 
gebung des Höchsten, so halte nichts davon.“ Bei aller freien Anschau— 
ung erkennt er also doch an, daß die Träume von überirdischer Seite 
beeinflußt werden können. 
Das eigentliche Land der Traumdeuter war Babylonien. Das 
ganze Leben richtete sich dort nach den Träumen und deren Aus— 
legung. Sie wurden in enge Beziehung zur Sterndeuterei gebracht. 
Bezeichnend für die große Bedeutung der Träume und ihrer Aus— 
legung im alten Babylonien — Chaldäa — ist, daß der Ausdruck 
Chaldäer noch lange Zeit nach dem Untergange des Reichs, auch bei 
den römischen Klassikern, z. B. Strabo, schlechtweg als Bezeichnung 
für Zeichen- und Traumdeuter angewandt wurde. Aus herodots 
Erzählungen geht hervor, daß auch die Perser ihr Tun zum großen 
Teil von den Träumen abhängig machten. Xerrxes wird durch einen 
Traum bestimmt, gegen Griechenland zu Felde zu ziehen. 
Ein großer Teil der mohammedanischen Lehre baut sich auf den 
CTräumen des Propheten auf. Wir finden in den osmanischen Sagen 
ebenfalls bedeutsame Träume, die dem Geschlechte seine Zukunft vor—⸗ 
hersagen. Auch in Indien blühte die Traumdeuterei, wovon noch 
Traumschlüssel uns Kunde ablegen. 
Allmählich wurde die Traumdeuterei eine förmliche Wissenschaft. 
Es ist uns das Traumbuch des Artemidoros von Daldis (136 bis 
200 n. Chr.) erhalten, eines Zeitgenossen des römischen Kaisers Mark 
Aurel. Voraussetzung für die Deutung eines Traumes ist nach Arte⸗
	        
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