Full text: Sammelband

ä. 
Aber da greift in Gestalt von Assoziationen die Kritik ein. Altere 
Vorstellungen, die auf Erfahrung beruhen und uns sagen, daß wir 
auf der Hhut sein müssen, halten uns davon zurück, uns den neuen 
Vorstellungen hinzugeben. Das fällt im Traume weg. Wir lassen 
uns von den Vorstellungen umgarnen, wie sie kommen, und sind 
außerstande, Erfahrungen geltend zu machen. 
Vielfach hat man das Traumleben mit dem Seelenleben der 
Wahnsinnigen und dem der Kinder verglichen. Manche Formen des 
Wahnsinns werden durch eine ähnliche Schwäche des Urteils charak⸗ 
terisiert, wie sie im Traume besteht. Auch im Wahnsinn kommt als 
sog. Ideenflucht ein ähnliches überstürzen der Vorstellungen wie im 
Traume vor. „Im Traume können wir fast alle Erscheinungen, die 
uns im Irrenhause begegnen, selbst durchleben“ (Wundt). Die Logik 
des Träumenden, charakterisiert durch Maßlosigkeit und Übertrei— 
bung, kehrt aber auch im kindlichen Geistesleben wieder. Die Ver⸗ 
schmelzungen der Vorstellungen beim Kinde haben ähnlichkeit mit 
denen beim Träumenden. 
Diese Schwäche des Urteils schließt nun aber durchaus nicht aus, 
daß wir überhaupt urteilen. Im Gegenteil, der Träumende urteilt 
außerordentlich viel, so daß das Urteilen beinahe bezeichnend für 
das Träumen ist. „Es ist, als ob die psychologische Tätigkeit aus 
dem Gehirn in das eines Narren übergesiedelt ist,“ sagt Fechner. 
Und Novalis bezeichnet die Träume als „Symptome des entzünd— 
lichen Vernunftmangels.“ 
Unser Urteil beruht im Wachen auf der Kenntnis des wahren 
Sachverhalts der Dinge. Im Traume fällt diese Kenntnis aus. Das 
Urteil hat keinen Grund und Boden mehr, und so kommt es zu ab⸗ 
sonderlichen Vorstellungen. Hebbel sah einst im Traum essende 
Tote und nahm das als selbstverständlich hin; E. T. A. hoffmann 
erzählt in seinen Tagebuchblättern einen ebenfalls diese Kritiklosig⸗ 
keit bezeichnenden Traum: „Die Polizei nahm alle Uhren von den 
Türmen herab und begründete diesen Schritt damit, daß die Zeit 
konfisziert sei!“ Solche Vorstellungen sind eben nur möglich, wenn 
eine große Urteilsschwäche besteht. Ich möchte wieder auf ein hHeb⸗ 
belsches Gleichnis zurückgreifen, das diese Seite des Traumlebens 
harakterisiert: „Die Seele setzt mitteinem Alphabet, das sie doch nicht 
versteht, unsinnige Figuren zusammen, wie ein Kind mit den 24 Buch- 
staben; es ist aber gar nicht gesagt, daß dieses Alphabet an und für 
fich unsinnig ist.“
	        
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