— 46 —
gestört sein: eine Vorstellung wird nicht mit dem sprachgebräuch⸗
lichen Wort ausgedrückt, sondern mit einem ähnlich klingenden. In
einem Traum kam z. B. der Satz vor: Ich spreche immer zufällig
die Wahrheit, anstatt zuverlässig. hierhin gehört auch die durch
Vischers „Auch Einer“ bekannte Bildung „Frackelzug“, erweckt
durch die Vorstellung befrackter Teilnehmer am FSackelzug. Ich selbst
träumte neulich im Anschluß an einen Theaterbesuch, daß einige
herren vom Theater zu mir kämen und mich fragten, ob die bei Fest⸗
zügen benutzten Baldachine ihrem Zwecke entsprächen. Ich sagte, daß
ich mir das erst überlegen müßte. Darauf schlug ich in einem alten
Orbis pictus nach und las dort die Überschrift: „Baldachin in An—
dante“. — Dabei ist wahrscheinlich die Vorstellung maßgebend ge—
wesen, daß Andante „gehend“ heißt; der Begriff Baldachin aber hat
sich, weil im Theater der Baldachin sich gewöhnlich in Bewegung be—⸗
findet, mit dem des Gehens verbunden.
Jedenfalls sehen wir, daß Willensäußerungen im Traume vor—
handen sind, aber sie bleiben in ihren Anfängen stehen. Im allge⸗
meinen spielt der Wille eine durchaus untergeordnete Kolle im
Traumleben.
Ein weiterer Punkt, in dem sich das Traumleben vom Wachen
unterscheidet, ist die völlige Nichtachtung von Kaum und Zeit im
Schlafe. In der schon erwähnten Novelle „Der Traum eines lächer⸗
lichen Menschen“ sagt Dosto je wski von den Träumen: „Das eine
sieht man mit erschreckender Deutlichkeit, mit schmuckstückhafter Aus—
arbeitung der Cinzelheiten, anderes dagegen übergeht man fast ganz,
als ob es überhaupt nicht vorhanden wäre, so 3. B. Raum unod
Zeit.“ Wir lösen die schwierigsten Derkehrsfragen im Traum. Die
eine Traumvorstellung führt uns 3. B. nach Stockholm; sie wird
von einer zweiten abgelöst, die uns nach Konstantinopel versetzt.
Ohne besonderes Wesen von der Reise zu machen, bewegen wir uns
hier wie im nächsten Augenblick dort und überwinden spielend den
zwischenraum. Gewöhnlich fehlt sogar jede Vorstellung von einem
Bindeglied zwischen beiden Orten, von der Reise, aber das fällt uns
im Traume weiter nicht auf. Und wie mit dem Kaum, so steht es
auch mit der Seit. Während eines Schlafes von mehrstündiger Dauer
kann man Ereignisse träumen, die sich über Jahre hinziehen, und
dabei spielt sich der eigentliche Traum vielleicht in wenigen Minuten
oder gar Sekunden ab. Wir erleben die Zeit persönlich, werden aber
nicht einen Augenblick stutzig über den raschen Verlauf der Dinge,