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schung unserer seelischen Tätigkeit, über die wir im Wachen verfügen.
Ist das Träumen nun ausschließlich auf den Schlaf beschränkt?
Gibt es nicht auch im Wachen ähnliche Zustände? Nicht selten be—
zeichnen wir einen in sich gekehrten Menschen, der in Gegenwart
anderer wortkarg ist, keine oder nur ausweichende Antworten selbst
auf teilnehmende Fragen gibt, der seine Augen ständig in die Ferne
gerichtet hat und die Gesellschaft scheut, wenn er aber einmal aus
sich herausgeht, nur phantastische Gedanken äußert, als Träumer.
In jeder Schulklasse sitzen solche Träumer, die immer zerstreut sind
und, obgleich oft sehr begabt, doch im Lernen nicht Schritt halten kön⸗
nen mit ihren Mitschülern. Nichts anderes als Träumen ist oft auch
das Zerstreutsein der Gelehrten, dierin ihrem Geiste von dem Gegen—
stand, der sie und andere zugleich beschäftigt, abirren und nun, plötz—
lich in eine andere Welt versetzt, uns fremd erscheinen. Viel ähn—
lichkeit mit einem Traumzustand im Wachen hat auch die dichterische
Begeisterung. Hebbel, der sich in seinen Cagebüchern viel mit Träu—
men beschäftigt und uns noch öfter begegnen wird, sagt u. a.: „Mein
Gedanke, daß Traum und Poesie identisch sind, bestätigt sich immer
mehr.“ Viele geniale Menschen sollen in einer Art von Traumzustand
im Wachen große Werke geschaffen haben, wie es z. B. von Mozart
behauptet wird; doch ist es fraglich, ob man diese Schaffensbegeiste—
rung als Traum zu betrachten berechtigt ist. Jedenfalls müssen wir
aber daran festhalten, daß es traumähnliche Zustände im Wachen
gibt, und daß diese uns helfen können, die Träume unserem Ver—
ständnis näherzubringen.
2. Traumforschung.
Eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Methode der wissen—
schaftlichen Forschung beruht auf dem Sammeln von Material. Der
Zoologe, der Botaniker kann sich nicht damit begnügen, die Tiere
oder Pflanzen in der Natur zu beobachten; um ihren Bau kennenzu—
lernen, muß er ihrer habhaft zu werden suchen, muß sie zergliedern,
muß ihre feinste Gestaltung ergründen. Erst auf diese Weise kann
er der Wissenschaft einen Dienst leisten. So muß auch jeder, der in
das Wesen der Träume eindringen will, sich möglichst viele Traum—
berichte verschaffen, sie unter die Lupe nehmen und sie wissenschaft—
lich zu verwerten suchen. Das Sammeln von Träumen kann auf ver—
schiedene Weise vor sich gehen. Das einfachste ist es, sich von unbe—
fangenen Leuten im Caufe des Gesprächs, ohne sie besonders darauf