Full text: Sammelband

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solcher nichts mit den Träumen zu tun. Ein Beweis für das Vor— 
kommen eines traumlosen Schlafes ist nicht zu erbringen, aber die 
Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß wir nicht träumen. wenn wir 
tief schlafen. 
Der englische Dichter Addison (167251719) bezeichnet den 
Traum einmal als den Mondschein der Seele. Dieser Vergleich ent— 
hält manches Kichtige. Wir Menschen sind Sonnenwesen; die Sonne 
gibt uns, was wir zum Leben nötig haben, sie ist unser eigentliches 
Cebenselement. Die Sonne bringt uns Genesung von Krankheiten. 
Wenn sie sich unsern Blicken entzogen hat, ist auch unser Haupttage— 
werk zu Ende. vielleicht bleiben wir noch einige Stunden wach. Die 
meisten Stunden ihrer Abwesenheit aber bringen wir im Schlafe zu. 
zum Monde sind unsere Beziehungen viel lockerer als zur Sonne. 
Sein Schein erwärmt uns nicht, hat auch auf unser Leben keinen Ein— 
fluß. Während die Sonne uns unsere Umgebung klar und deutlich 
vor Augen stellt, gibt uns das Monolicht blasse, wesenlose Bilder, 
breitet einen Schleier aus über alles, was wir sehen, ja, macht uns zu— 
weilen vertraute Dinge fremd. Und ähnlich ist's im Traum: wir 
sehen die Traumbilder nicht greifbar vor uns ; sie sind matt, blaß 
und verschwimmen vor unsern Augen. Und trotzoem sie uns nahe 
angehen, stehen sie uns doch ferner als die Bilder, die wir im Wachen 
klar und deutlich vor uns sehen. 
Im Traume fehlen die Grenzen, die uns im Wachen gesetzt sind. 
Die Phantasie treibt ihr loses Spiel, ruft Erlebnisse aus frühester 
zeit, die uns längst entfallen sind, wieder ins Gedächtnis zurück; sie 
erfüllt unsere Wünsche, nimmt uns unsere Befangenheit; was wir 
errungen im Leben, wird uns wieder genommen. Alle Bilder spielen 
sich mit äußerster Lebhaftigkeit ab, eins überstürzt förmlich das an— 
dere. Alles ist übertrieben. Man kann das Träumen mit dem Stim⸗ 
men der Orchesterinstrumente vor dem Konzert vergleichen. Kein 
Leiter ist da. Bald dieses, bald jenes Instrument läßt sich hören; bald 
das Cocken der Geige, bald das Poltern der Oboe, bald das Schmeicheln 
des Dioloncellos, bald das Murren des Kontrabasses, und dumpf er⸗ 
dröhnt zwischendurch die Pauke. Aber kein Instrument führt seine 
Aufgabe durch. Sie nehmen nur Anläufe, setzen aber sofort wieder 
aus. Manches klingt ganz phantasievoll, aber ein geordnetes Spiel 
ist es nicht, und verworren ist auch der Gesamteindruck. So ver⸗ 
aufen auch die Bilder im Traum. Es fehlt, wie beim stimmenden 
Drchester der Kapellmeister, die geistige üÜberlegenheit, die Beherr⸗
	        
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