Full text: Sammelband

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wird uns eine Zumutung gestellt, die außerhalb unseres Gedanken— 
kreises liegt, so weisen wir sie mit den Worten zurück: „Das fällt 
mir nicht im Traume ein!“ 
Das Volk hat sich in allen Zeiten viel mit den Träumen beschäf— 
tigt; sie kamen scheinbar aus einer andern Welt — in Wahrheit aber 
istss unsere eigene Welt, aus der sie stammen. Im Wachzustande 
zewegen sich alle Menschen in einer gemeinsamen Welt, sagt Hera— 
klit, im Schlaf sinkt jeder in seine eigene zurück. Die Träume kamen 
nach dem Glauben der alten Griechen von den Göttern her. Bei 
homer sind sie geradezu die Sprache, in der diese zu den Menschen 
teden. Nach Ovid sind sie die Kinder der Nacht. In drei Gestalten 
erscheinen sie, als Morpheus, Ikelos und Phantasos. 
Bei den nördlichen Völkern werden die Seelen der Verstorbenen 
dielfach zu Traumerscheinungen. Sie besuchen des Nachts ihre Ange— 
hörigen und Freunde. Häufiger aber noch ist der Glaube, daß die 
deele während des Schlafes den Körper verlasse und umherschweife. 
Der zurückgebliebene Körper wähnt alles das zu träumen, was die 
deele auf ihren Wanderungen erlebt. Sie sucht in der Kegel den 
Wohnort der abgeschiedenen Seelen auf, das Gefilde der Seligen, das 
Paradies, bei den Indianern die ewigen Jagoͤgründe, bei den Grön— 
ländern das Land des ewigen Sommers, wo es keine Nacht gibt und 
eine Menge Wildes. Derselbe Glaube findet sich auch bei uns; in 
den deutschen Sagen der Gebrüder Grimm ist es einmal ein Wiesel, 
ein anderesmal ein schlangenartiges Tier, das dem Schlafenden ent— 
schlüpft, und dieser vermeint zu träumen, was das Seelentier wäh— 
rend seiner Wanderung erlebt. Spuren dieses Glaubens sind noch 
heute vorhanden: in manchen Gegenden darf das Kind den Mund 
aicht offen halten, damit die Seele nicht in Gestalt einer Maus ent— 
fliehen kann. Darauf bezieht sich vermutlich auch der alte Kinder— 
reim: „Kommt ein Näuschen, will ins Häuschen!“ 
Wie das Volk, so haben sich auch die Dichter aller Seiten und 
cänder äußerst lebhaft mit den Träumen beschäftigt. Mag man an 
das Nibelungenlied denken, wo Kriemhiloös Träume eine große Be— 
deutung haben, oder an Calderon de la Barca, der in seinem 
Drama „Das Ceben ein Traum“ schildert, wie ein verborgen im 
Turm aufgezogener Rönigssohn, der plötzlich ins Leben hinein— 
gezogen, dann aber, als er sich grausam erweist, während des Schlafes 
wieder in seinen Turm zurückgebracht wird, alles Erlebte nur für 
einen Traum hält, oder an hHauptmanns Elga, wo die Handlung 
Fischer· Desoy, Schlafen und Trͤrnnen
	        
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