Full text: Sammelband

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Wollen wir jedoch die Milch, die ja zunächst nicht für uns, son⸗ 
dern für das junge Tier bestimmt ist, an ihrer Quelle besichtigen, 
dann müssen wir in den Stall gehen und den ersten Mahlzeiten des 
eben zur Welt gekommenen Kalbes beiwohnen. Diese Mahlzeit be— 
steht aus einer Flüssigkeit, die nicht milchweiß, sondern gelblich bis 
bräunlich gefärbt ist, salzig schmeckt, eigentümlich riecht, zähflüssig 
ist, und die als Biestmilch, Erstlingsmilch, Kälbermilch, Kolostrum 
bezeichnet wird. Sie ist nicht nur im Aussehen, sondern auch in der 
chemischen Zusammensetzung von der eigentlichen Milch verschieden. 
Ihre Absonderung dauert etwa 2423 Tage, dann nimmt die Biest⸗ 
milch allmählich die Cigenschaften normaler Milch an. Biest- oder 
Kolostrummilch enthält: 
II. 
Wasser ..... .. 71,6905 Sett.... .... 333700 
Kaseln.. 4,830 Milchzucker. ... 22.480/, 
Liweigtofen ee 33 ena — 
Die Zusammensetzung der Biestmilch, die einen hohen Eiweiß-⸗ 
gehalt besitzt, entspricht dem naturgemäßen Nahrungsbedürfnis des 
neugeborenen Tieres, es darf ihm deshalb diese erste Nahrung nicht 
entzogen werden. An sich ist die Biestmilch auch für den mensch— 
lichen Genuß nicht ungeeignet, bildet sie doch 3. B. in Tirol das 
„Ehret“, d. h. ein Ehrengeschenk für den Pfarrer. Wenn unsere 
neuzeitliche Lebensmittelgesetzgebung die Verwendung der Biestmilch 
im Marktverkehr untersagt, so geschieht dies ausschließlich in tier— 
züchterischem Interesse. 
Die natürliche Bestimmung jeder Milch ist es, dem jungen Spröß— 
ling, sei er ein Mensch oder ein Säugetier, als vollständige Nahrung 
für den ersten Kampf im Dasein, gleichsam als „Feldverpflegung“, 
wie der soldatische Ausdruck lautet, zu dienen, und nicht nur der 
Mensch ist sich in seinem dunklen Drange des rechten Weges wohl 
bewußt, sondern auch das neugeborene Tier weiß, einem Instinkt 
folgend, führerlos, den Born zu finden, aus dem jener Stoff ent— 
quillt, dessen der junge Körper zu seiner Weiterentwicklung bedarf. 
Die Natur hat kein zweites Nahrungsmittel geschaffen, das diesen 
sweck gleich vollkommen erfüllen könnte. Schillers feuchtfröhliches 
Lied von den vier Elementen, die das Leben bilden und die Welt 
bauen, ist zwar für den Punsch gedichtet, mit untergelegtem physio— 
logischem Text trifft es auf die Milch zu; in Form des Kaseins und
	        
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