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nährung von Menschenkindern mit Tiermilch gezeitigt oder hat ein
milchstrotzendes Weib voll Mitleid ihre Brust dem jungen Tiere ge⸗
reicht, dessen Crnährerin tot zu ihren Füßen lag? hinter dem Zau⸗
bergespinst der Sage liegt verschleiert eine Teilantwort auf diese
Frage. In einer höhle des Ida verborgen wird der junge Zeus, der
kommende Göttervater, von der Ziege Amaltheia großgesäugt. Koms
Geschichte beginnt mit der Säugung von RKomulus und Remus durch
eine Wölfin, die noch heute im Wappen der Stadt verewigt ist; an einer
hündin Euter labt sich der junge Cyrus; eine Bärin säugt Arion
groß, und des Sagenkaisers Oktavian mutterberaubte Kinder spielen
mit jungen Löwen und teilen mit ihnen die Milch der Löwinmutter.
Genovevas Sohn, Schmerzensreich, säugt an einer hirschkuh, eine
hirschkuh betreut das Rautendelein, eine Wölfin teilt ihr Lager mit
Wolf Dietrich, dem Helden der fränkischen Aventiure.
Was einmal Geschichte war, wird zur Legende, und umgekehrt
wird Legende nicht selten wieder zur Wirklichkeit. Um die Säug—
lingssterblichkeit unter den Pfleglingen der ungarischen Kinderasyle
herabzusetzen, unternimmt der Generalinspektor dieser Anstalten,
Ministerialrat v. Ruffyy, den Versuch, Säuglinge an das Euter von
Ziegen anzulegen, die zuvor vom Tierarzt auf ihre unbedingte Ge—
sundheit geprüft sind. Der Versuch gelingt vollkommen, die Kinder
nehmen die Ziegenmilch willig und bleiben gesund, die Ziegen werden
ebenso willige Menschenammen.
Die Völkerkunde verzeichnet die für unsere Untersuchung be—
langreiche Tatsache, daß junge Perserinnen gerne Hunde an die Brust
legen, in Südamerika stillen die Indianerinnen mit Vorliebe junge
hunde, während sie merkwürdigerweise mutterlosen Uindern diese
Wohltat niemals erweisen. Ebenso säugen die Frauen der Paumarys
am Puru Hunde und Affen groß.
Die anfangs gestellte Frage ist somit nicht mit Sicherheit zu
beantworten, denn wir sehen Menschen als Cierammen und hören von
Tieren, die sich ohne weiteres als Menschenammen verwenden lassen.
Nur eins erweist uns mit Sicherheit das aufgerollte Bild: Die Milch
muß ein für Mensch und Säugetier gleich köstliches, lebenspendendes
Gut sein, und als der rohe Naturmensch einmal davon gebhostet hatte,
da muß er, dem die Jagd Sleisch und Felle lieferte, auch noch
nach diesem Besitz getrachtet haben, den ihm nur Zähmung und
Zucht milchspendender Tiere dauernd sichern konnte.