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in ihnen Hoffnungen erweckt, die unerfüllt bleiben müssen und
durch die folgenden Enttäuschungen die Mutlosen nur noch verzagter
machen und niederoͤrücken.
Im Gegensatz dazu: Mit schreiender Ungerechtigkeit, ja mit em⸗
pörender Rücksichtslosigkeit und geradezu feindlicher Gleichgültig—
keit pflegt man den Unglücklichen zu begegnen, die ertaubt oder
schwerhörig sind. Man übersieht ihr Leiden, als ob es überhaupt
nicht vorhanden wäre. Man gibt sich nicht die Mühe, sich mit ihnen
zu unterhalten, weil die Verständigung zu unbequem ist. So be—
trachtet man sie als lästige Mitmenschen. Das drückt die Schwer—
hörigen. Sie fühlen, daß sie unberechtigterweise zurückgesetzt sind,
sie werden erst durch die ungerechte Behandlung unwirsch und
unfreundlich, menschenscheu und verbittert. Und doch verdienen sie
unsere Beachtung in demselben Grade, wie die anderen Verletzten.
Auch sie müssen wieder ihrem Berufe zugeführt werden. Sie sind
größeren Gefahren ausgesetzt auf der Straße, in der Werkstatt und
Fabrik als andere, da ihre Ohren taub sind, warnende Kufe und
Heräusche zu vernehmen. Meistens werden sie ihren früheren Be—
ruf ja wieder ausüben können. Aber sie müssen neue Wege des
Umganges mit ihren Nebenmenschen sich bahnen, müssen es lernen,
sich mit den Gesunden zu verständigen. Sie lernen es, das Ge—
sprochene nicht zu hören, sondern von den Lippen abzulesen, ja
sie lernen kleinste mimische Bewegungen, die dem gewöhnlichen Sterb—
lichen entgehen, durch Verfeinerung ihres Sehens aufzufangen und
zur Verständigung zu verwerten. (So „hören“ sie auch dort Leute
reden, wo wir gesunden Menschen nichts vernehmen, z. B. die Schau⸗
spieler in kinematographischen Vorführungen, die im Vertrauen auf
die Schweigsamkeit des photographischen Apparates ihrer Zunge zu—
weilen die Zügel schießen lassen und zwar, wie mir gesagt wird,
nicht immer in gewählten Ausdrücken.)
Nicht nur Verwundete sind's, die zerbrochen aus dem Felde
kommen, viele andere kehren zurück, unbrauchbar geworden durch
Krankheit, krank an der Seele und am Körper, an herz, Lungen
und Nieren und an vielen anderen Organen. Krank, weil die außer—
gewöhnlichen Anstrengungen und Leistungen des Krieges nicht be—
wältigt werden konnten von ihrem Sellenstaate. Diese Uranken sind
nicht minder helden als die vor dem Seinde Verletzten. Wenn sie
hier nicht nach Gebühr gewürdigt zu sein scheinen, so liegt das daran,