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über der allzugroßen Aufgabe, weil das tote Gewebe willbommene
Freistatt dem zerstörenden Bakteriengezücht bietet, wenn der Eiter
vergeblich tiefe Loͤcher wühlt, um den Körper zu säubern, dann weiß
der Arzt, was er zu tun hat. Auf dem schonenoͤsten Wege dringt er
ein mit Messer und Schere in das Innere des Sellenstaates, an den
herd der Verwüstung, hilft dem Körper das tote, zerfetzte Gewebe
abstoßen, öffnet mitleidig die Citerhöhlen, um mit dem Eiter den
Bakterien, Sellentrümmern und Kleiderfetzen Abfluß nach außen
zu schaffen, stöbert alle Buchten und Schlupfwinkel auf, legt sie
frei und bloß, daß die Bakterien nicht mehr in dem ungestörten
Dunkel der Tiefe ihr unheimliches Serstörungswerk fortsetzen kön—
nen. Der Erfolg ist beglüchend: Das Fieber hört auf (da nichts
mehr ist, wogegen der Körper zu fiebern nötig hätte), die vorher so
schmerzende, ekelhafte Wunde wird frisch und rein und heilt in
oft überraschend kurzer Seit. Nicht immer freilich ist solche hilfe
möglich: Dann nämlich nicht, wenn der Andrang der Bakterien so un—
gestüm vor sich ging, daß auf weiten Strecken alles Gewebe getötet
und zerfallen und so der weitere Fortschritt der Serstörung nicht
mehr aufzuhalten ist. Dann sieht sich der Arzt gezwungen, schweren
herzens das ganze Glied zu opfern, nur um das Leben zu retten.
So ging's unserem helden hiller. Dadurch ist dieser Verwundete
aber dem sichern Tode entrissen. Als sein Zellenstaat vor die beiden
gewaltigen Aufgaben gestellt war, vor die der dringlichen Blut—
stillung und die spätere der notwendigen Bakterienvernichtung, ver—
sagte er. Er hätte die Folgen des Versagens, den sichern Untergang,
über sich ergehen lassen müssen, wenn nicht der Arzt seinem Zellen—
staat Bundesgenosse geworden wäre. So geht's bei Tausenden von
Kriegsverletzungen. Und weil man des Arztes Erfolge handgreiflich
sieht, hat man Vertrauen. Nie war der Schrei nach dem Arzte brün—
stiger als jetzt bei den Kriegsverletzungen. Arzt und ZSellenstaat:
Man vergegenwärtige sich die Größe ihrer Gegenüberstellung!
Über tausend Schwierigkeiten des alltäglichen Lebens, die
uns gar nicht zum Bewußtsein kommen, hilft uns unser Zellen—
staat hinweg. Wie er es tut, was in meinem Innern vor
sich geht, wie und ob und wann meine CLeberzellen und die
der Milz oder die des Herzens tätig sind, was weiß ich
davon! Aber jeder einzelne Zellenstaat ward bei uns Menschen
— nur bei uns Menschen in diesem Maße — Träger einer Persön—