Full text: Die hessischen Prinzen in Göttingen 1754-56

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langen Weile; denn in unsrem Alter konnten wir von den Vor— 
lesungen noch nichts profitieren, die allein imstande gewesen wären, 
unsere Zeit auszufüllen und die grenzenlose Monotonie unseres 
Lebens zu unterbrechen. Unser einziges Vergnügen war das Reiten. 
Die feierlichen Diners waren schrecklich, und die alten Professoren 
erschienen lebhaften Kindern, wie wir waren, als furchtbare Wesen. 
Dabei bildeten sie die Glanzunummern der Diners. Das schlechte 
Verhältnis zwischen unseren Gouverneuren Wittorff und Severy!) 
trug auch nicht zu unserm Vergnügen bei. An offener Tafel kam 
es oft zum Ausbruch, was einen sehr bösen Eindruck auf uns 
machte. Unsere Mutter hatte aus Liebe zu uns Frau v. Wittorff?) 
bestimmt, oft nach Göttingen zu kommen, da sie ihr heiteres Gemüt 
und unsere Freude, sie zu sehen, kannte. Sie war uns eine große 
Stütze und hatte immer tausend Aufmerksamkeiten für uns. 
Im September 1755 besuchte die Erbprinzessin Marie ihre 
Söhne für einige Tage in Göttingen. 
Herr v. Wittorff, immer ein großer Freund der Etikette und 
der Komplimente, unterbrach oft unsere Unterhaltung mit meiner 
Mutter durch die Audienzen, die sie auf seinen Wunsch den Pro— 
fessoren geben mußte. Wenn es möglich war, wehrte sie sich gegen 
diese erpreßten Aufmerksamkeiten, meistens mußte sie aber einige 
Zeit dieser langweiligen Beschäftigung opfern ... 
Am 16. Februar [1756] kam meine Mutter wieder nach Göt— 
tingen und reiste am 18. zurück nach Kassel. Während wir an 
diesem Morgen mit ihr frühstückten, verspürten wir einige ziemlich 
starke Erdbebenstöße?) ... 
Am 13. Mai [1756) kam meine Mutter mit der Prinzessin 
Heinrich von Preußen9 zu uns zum Essen. Wittorffs 
Bruder, erster Kammerherr am braunschweigischen Hofe, kam im 
Auftrag des Herzogs, um die Prinzessin bei ihrer Durchreise zu 
begrüßen und sie zu bitten, in Seesen zu übernachten. Die Prin— 
zessin reiste Nachmittags weiter, und wir gingen am folgenden Tag 
mit meiner Mutter nach Hardenberg, dem Gute dieser Familie, 
wo wir vergnügt waren und Abends nach Göttingen zurückkehrten. 
1) Severy, der bisherige erste Gouverneur des Prinzen, fühlte sich durch Wittorffs 
Berufung zurückgesetzt, zumal er den Hofmann an Geistesbildung weit überragte. 
Bgl. über ihn das Buch seines Urenkels W. de Severy, La vie de sociéêté dans le 
pays de Vaud du 18e siècle. 2 vol. Lausanne 1912. 
2) Geb. v. Molsberg. Sie war zehn Jahr älter als ihr Mann. 7 1795 zu 
stassel. Sie wohnte bei dem Tuchmacher Scharff. Vergl. unten S. 33. 
3) Seit der vorjährigen furchtbaren Katastrophe von Lissabon war man auf 
derartige Erscheinungen sehr aufmerksam und ängstlich geworden. 
4) Schwägerin Friedrichs des Gr., geb. Prinzessin von Hessen.
	        
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