Full text: Der Zopf und seine Renaissance

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Deutsche Revue 
garde, und ihr Feldwebel rapportierte in gewohnter Weise Serenissimo, daß 
nichts Neues passiert sei! 
Der Freudentaumel der Hessen wich bald einer starken Ernüchterung, als 
Wilhelm unverzüglich nach seiner Rückkehr eine Nestaurationspolitik 
begann, wie sie konsequenter kaum irgendwo durchgeführt worden ist. Er hatte 
die Fremdherrschaft niemals anerkannt, so sollten die sieben Jahre überhaupt 
aus gestrichen werden und das Leben wieder da anfangen, wo es am 1. No⸗ 
vember 1806 aufgehört hatte. Mit echt hessischer Zähigkeit verfocht Wilhelm 
diese Theorie und setzte alle seine Energie daran, die Spuren der Fremd—⸗ 
herrschaft restlos zu tilgen. Nach Ablauf eines Jahres konnte er selber in 
seinen Memoiren folgendes befriedigende Fazit seiner rastlosen Tätigkeit ziehen: 
„So endet das sauerste Jahr, das Hessen seit Philipp dem Großmütigen 
durchgemacht hat. Wo in zwölf Monaten ... jeder Staatsdiener im ganzen 
Lande, alle Behörden und Amter genau wie im Jahre 1806 ihren Platz er⸗ 
hielten, alle fremden Kontributionen und Abgaben abgeschafft und das alte 
Regime meiner Vorfahren wieder hergestellt wurde ... Gott sei gelobt, der 
mir bei dieser harten Arbeit beigestanden hat!“ 
Es versteht sich von selbst, daß bei dieser bis ins kleinste durchgeführten 
Restauration viele Härten und AUngerechtigkeiten vorkamen, wenn man auch 
nicht all die Tendenzanekdoten mit ihren Übertreibungen und Entstellungen 
glauben darf, die damals meist außerhalb Hessens entstanden und bis auf den 
heutigen Tag kolportiert werden. Das gilt auch von der Wie dereinführung 
der Zöpfe, an sich wohl der harmlosesten Außerung der kurfürstlichen 
Restaurationspolitik, die aber ihr äußeres Symbol wurde und mit der Er— 
mnerung an den ersten hessischen Kurfürsten untrennbar verbunden geblieben ist. 
Wilhelms erste Regierungshandlung nach seiner Rückkehr war die Wieder⸗ 
einberufung der am 1. November 1806 „auf Befehl Seiner kurfürstlichen 
Durchlaucht beurlaubten“ Regimenter. 24000 Mann mußte Hessen für den 
Kampf gegen Napoleon stellen, mehr als irgendein anderes deutsches Land 
im Verhältnis zu seiner Größe und Einwohnerzahl damals auf die Beine 
brachte. Die Organisation der Feldtruppen übernahm der Kurprinz, und bei 
der Hast, mit der das geschehen mußte, konnte von Uniformquisquilien u. dgl. 
nicht die Rede sein. Rückten doch die ersten Kolonnen zum Teil in weißen 
und blauen Leinenkitteln aus, und niemand hatte Zeit, sich um ihre Haar—⸗ 
frisur zu kümmern. Der Kurfürst wollte auch von diesen „Wilden“ nicht 
recht was wissen und war froh, als sie aus Kassel fort waren. Mit um so 
größerem Eifer widmete er sich der Wiedererrichtung und Ausbildung der 
allein im Lande zurückgebliebenen Garden, die sich größtenteils aus alt— 
gedienten Leuten rekrutierten. Bei denen verstand es sich von selbst, daß 
Bekleidung, Ausrüstung usw. genau dem Muster und Reglement von 1806 
entsprachen, wobei Zopf und Puder unerläßlich schienen. Am 6. Februar 1814 
konnte der Kurfürst die erste Parade über die Garde wieder abhalten, war 
hochbefriedigt, als bei den Gewehrgriffen die nach altem Brauche extra des—
	        
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