Losch, Der Zopf und seine Renaissance 177
In Rendsburg machte sich der dänische Gouverneur Prinz Friedrich von
Hessen ein Vergnügen daraus, seinen Oheim durch den langentbehrten Anblick
einer militärischen Parade zu zerstreuen, doch der alte Herr wollte von der
schlappen dänischen Soldateska, trotzdem sie noch den Zopf trug,)) nichts
wissen, sagte es zwar nicht laut, schrieb aber in sein Tagebuch: „das Militair
hier ist traurig in allen Stücken“. Durchziehende spanische Söldner Napoleons
fand er gar „zum Ekeln abscheulich“.
Das Jahr 1809 fand ihn zu Prag, wo damals das Zentrum der
Feindschaft gegen Napoleon war. Keinen Moment zögerte der hessische Kur⸗
fürst, als der Erzherzog Karl ihn aufforderte, an dem Kampf gegen den
AUnterdrücker Deutschlands teilzunehmen. Gleich dem Herzog von Braun—
schweig stellte er eine Legion auf, die natürlich nach althessischem Muster
gekleidet und ausgerüstet war. Beim Siegestedeum von Aspern konnten die
Prager die bezopfte hessische Miniaturarmee vor dem Hradschin in Parade—
aufstellung bewundern, und der Kurfürst war stolz auf den Beifall, den man
ihrer Haltung zollte. Aber sein Traum zerrann bald wieder in nichts. Der
Versuch des hessischen Oberstleutnants v. Müller, den „Kartenkönig“ Jerome
im Vogtland gefangen zu nehmen, mißlang ebenso wie die Aufstände dieses
Jahres in Hessen, die von dem geizigen Kurfürsten schlecht finanziert waren.
Der Friede von Wien zwang ihn, sein Korps wieder aufzulösen und weiter
auf den Tag der Befreiung zu warten.
Als dessen Morgenröte dämmerte, kam der Kurfürst im März 1813 nach
Breslau in der stillen Hoffnung, als ältester Feldmarschall der preußischen
Armee ein größeres Kommando in ihr zu erhalten. Mit seinem altmodischen
weiten Generalsrock und dem wohlgepflegten Zopf bot der alte Herr
unter den preußischen Generälen mit ihren neuen engen Uniformen und kurz-
geschnittenen Haaren eine auffallende Erscheinung und wirkte, wie Boyen erzählt,
wie ein Bote aus dem Grabe. Auch Wilhelm erkannte die preußische Armee
kaum wieder, freute sich aber doch, als man ihm zu Ehren ein Bataillon
Garde vor ihm exerzieren ließ. Sein Sohn, der Kurprinz, nahm als preußischer
General an dem Befreiungskampf teil und konnte endlich genau sieben Jahre
nach der Flucht seine Landsleute wieder mit ihrem alten Hessennamen be—
grüßen. Drei Wochen später folgte der Kurfürst und wurde von den Kasselanern
in einem wahren Freudentaumel durch die Tore der Stadt bis zu seiner alten
Residenz gezogen. Mit Tränen der Rührung sah der Heimkehrende den
Jubel seiner „Kinder“, und mit gnädigem Wohlgefallen ruhte sein Auge auf
den alten Soldaten, die ihre alten Monturen aus der Rumpelkammer geholt
hatten und ihre Zöpfe hochhielten mit dem lauten Rufe: „Kurfürstliche Durch—
laucht, ich habe ihn noch!“ Und vor der Zugbrücke der von ihm erbauten Löwen—
burg bei Wilhelmshöhe präsentierten ein paar eisgraue Gardisten der Schweizer⸗
In der dänischen Armee wurde der „Nakkepidst“ erst am 1. März 1810 ab-
geschafft.
Deutsche Nevue. XLVI. November⸗Heft