Full text: Der Zopf und seine Renaissance

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Deutsche Revue 
ment und öder Drill wurden mehr und mehr die Angelpunkte, um die sich 
alles beim Militär drehte, und die Feldzugspatina der kriegsberühmten 
hessischen Truppen, die noch im brabantischen Kriege von Freund und Feind 
als den Preußen überlegen gerühmt worden waren, wurde durch den Parade⸗ 
limmer ersetzt, der den Landgrafen bei seinen öfteren Besuchen in Potsdam 
jedesmal wieder besonders entzückte. 
Wenn Wilhelms Gardetruppen auf dem Kasseler Bowlinggreen unter 
seiner persönlichen Leitung die „allerdiffieilsten Evolutionen“ exakt exekutierten, 
dann fühlte er sich so recht in seinem Element, und mit tiefer Verachtung 
blickte er auf die bunt zusammengewürfelten regellosen Horden der Franzosen, 
die in reglementswidrigen Monturen schreiend und gestikulierend im Sep⸗ 
tember 1805 unter Führung Bernadottes zum ersten Male Kassel passierten. 
Auch die alten Hessen schüttelten die Köpfe, als sie diese „Bande“ mit den 
stolzen Söhnen der Heimat in ihren altgewohnten steifen, aber stattlichen 
Aniformen und ihrer musterhaften Haltung verglichen. Hoch zu Roß vor dem 
Landgrafenschlosse haltend, empfing Wilhelm den Marschall Bernadotte. Bei 
der Begrüßung bäumte der Schimmel des späteren Königs von Schweden 
und warf seinen Reiter vom Sattel dem Kurfürsten gerade vor die Füße. 
„Das ist ein gutes Omen, für den Fall, daß die grande nation es einmal 
wagen wird, Hessen anzugreifen,“ meinte dessen Bruder, der Landgraf Karl; 
und so mochte auch der Kurfürst denken und ahnte nicht, daß binnen Jahres⸗ 
frist die stolzen hessischen Grenadiere vor diesen Franzosen die Waffen strecken 
mußten und er selbst ein heimatloser Flüchtling sein werde. Napoleon hatte 
oon ihm verlangt, daß er seine preußische Feldmarschallswürde niederlegen 
solle. Das hatte der Kurfürst entrüstet zurückgewiesen, trotzdem ihm die 
Krone eines „Königs der Katten“ winkte, aber er hatte sich auch nicht zu 
dem Entschluß aufraffen können, in dem Kriege von 1806 entschieden Farbe 
zu bekennen. Hals über Kopf mußte er nach der Katastrophe von Jena 
fliehen und durfte froh sein, als ihm der Hofmarschall des Waldecker Fürsten 
zu Arolsen die Zivilkleidung und den verhaßten runden Hut borgte, die ihm 
und seinem Sohn am 1. November 1806 die Flucht ermöglichten. 
Sieben lange Jahre lebte der alte Fürst in der Verbannung in Hol⸗ 
stein und in Böhmen, sich in Sehnsucht nach dem Lande seiner Väter ver⸗ 
zehrend, aber niemals die Hoffnung auf Rückkehr aufgebend. Selbst als in 
Hessen unter Jeromes Karneval „alles totalement bouleversirt“ wurde, 
dachte er nicht an Verzicht und verlangte von den Hessen, daß sie auch unter 
den veränderten Verhältnissen ihm „als ihrem angeborenen Herrn unter allen 
Umständen treu und attachirt“ blieben. Und die verschiedenen Insurrektions⸗ 
oersuche zeigten, daß das Volk, namentlich die Soldaten, dem alten Landesherrn 
in Treue anhingen. Es gehörte zu den Lichtblicken seines Lebens, wenn solche alte 
Soldaten den Weg zu ihm fanden und sich im Schmucke eines richtigen hessischen 
Zopfes präsentierten. Dagegen gab es eine heftige Szene, als eines Tages 
der Kurprinz „nach der Mode unserer Feinde“ ohne Zopf vor ihm erschien.
	        
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