Full text: Der Zopf und seine Renaissance

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Deutsche Revue 
zeit (er regierte Zß Jahre über Hessen, nachdem er schon 21 Jahre unum- 
schränkter Herrscher der Grafschaft Hanau gewesen war) alle Schatten, aber 
auch manche Lichtseiten dieser Regierungsform sich spiegelten. Selten hat 
ein Fürst eine höhere Meinung von seinem Amte gehabt, kaum einer die von 
ihm erkannten Pflichten ernster genommen als dieser hessische Fürst, der ein 
Vater seines unmündigen Volkes sein wollte und es mit allen menschlichen 
Fehlern und Schwächen, die ihm anhafteten, auch gewesen ist.) 
Die französische Nevolution bedrohte alles, was ihm heilig und unan. 
tastbar schien, darum war er von ihrem ersten Anfang an einer ihrer konse⸗ 
quentesten Gegner. Als einziger unter den deutschen Reichsfürsten im Bund 
mit dem König von Preußen, zog er 1702 mit seinen Hessen gegen die Jakobiner 
zu Felde, war bei Custines Einbruch in Deutschland einer der wenigen, die 
nicht den Kopf verloren, und setzte dem Vordringen des „miserablen Fran⸗ 
zosen“ bei Frankfurt ein Ziel und einen „unübersteiglichen Damm entgegen“, 
wie Kaiser Franz in dankbarer Würdigung des „edlen reichsständischen 
Patriotismus“ Wilhelms damals anerkannte. 
Aber er bekämpfte die Revolution nicht allein mit den Waffen, sondern 
suchte auch auf alle mögliche andere Weise das jakobinische Gift von seinem 
Lande fernzuhalten. Dabei verfiel er auf die sonderbarsten Mittel. Nicht 
nur, daß eine überaus strenge Zensur alle Nachrichten über die grundstürzen⸗ 
den Ereignisse in Frankreich dem Volke vorenthielt (nach der damaligen 
Kasseler Zeitung“ würde man keine Revolutionsgeschichte schreiben können), 
er nahm auch den aussichtslosen Kampf gegen die Großmacht der Mode 
auf, die, aller Schranken der Zensur spottend, in dem von dem Revolutions⸗ 
geist sonst glücklich behüteten Hessenland sich Eingang zu verschaffen suchte. 
Im Jahre 1799 konnten die wenigen die Fuldahauptstadt besuchenden Fremden 
das merkwürdige Schauspiel beobachten, wie die Zuchthaussträflinge, denen die 
Reinigung der Straßen oblag, ihre Arbeit in runden steifen Hüten auf kurz 
geschnittenen Haaren, in langen Pantalons und Röcken nach der neuesten 
Pariser Mode verrichteten. Das geschah auf Anordnung des Landgrafen 
(erst 1803 wurde er Kurfürst), „um die Hessen von den häßlichen französischen 
Moden abzuhalten“. Diese waren ihm überhaupt ein Greuel. Der Anblick 
eines à l'incroyable gekleideten Menschen verursachte ihm körperliches Un⸗ 
behageu. Er dachte darüber wie seine gleichgesinnte Gemahlin, die einmal 
schrieb: „Toutes ces folies font peine à voir, surtout lorsqu'on voit jour- 
néllement plus les mauvaises suites de toutes ces nouveautés!“ Selbst⸗ 
verständlich war die neumodische Kleidertracht für alle Beamten — „Diener“ 
hieß es damals — streng verpönt, und noch selbstverständlicher war der strikte 
Konservatismus in der Tracht des Militärs, die sich sonst nach alter 
Tradition ganz an das preußische Vorbild anlehnte. 
In einer größeren Monographie über Wilhelm J. von Hessen hoffe ich dies von dem 
landläufigen Darstellungen abweichende Urteil demnächst ausführlicher begründen zu können.
	        
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