Full text: Der Zopf und seine Renaissance

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Deutsche Revue 
mit hängendem Kragen, der nicht einmal steif ist, und mit übel zurecht⸗ 
gemachten Haaren“ begegnete, und als Wilhelm II. überhaupt bei den Offi— 
zieren „Frisuren, die gebrannt waren, und solche à l'enfant und à tire de 
bouchon“ entdeckte, da mußte der Kommandeur der Leibgarde, Oberstleutnant 
v. Hesberg, sämtliche Offiziere sukzessive in sein Haus kommen und ihnen 
durch den Friseur die Haare reglementsmäßig schneiden lassen! 
So hatte die neue Freiheit auch ihre Schattenseiten, und es gab deren 
noch mehr, die zeigten, daß mit dem Zopf das selbstherrliche Negiment noch 
nicht begraben war. Es kam sogar eine Zeit, in der man mit einer gewissen 
Wehmut sich des strengen alten Sonderlings erinnerte, der bei allen Schwächen 
und Marotten doch auch seine unleugbaren guten Seiten gehabt hatte. Da— 
mals kam in Hessen die noch jetzt nicht ganz vergessene Nedensart auf: Wir 
armen Hessen, hätten wir doch unsere Zöpfe noch! 
Crispi und Giolitti 
Bruchstücke aus den noch ungedruckten Lebenserinnerungen eines Zeitungsschreibers 
Von 
Fried. Noack 
(Schluß) 
Das Ende mit Schrecken 
De persönliche und politische Ansehen des Ministerpräsidenten war unge— 
achtet der Neuwahlen, die ihm eine gehorsame Mehrheit verschafft hatten, 
ebenso durch die moralische Frage wie durch die gegen die Sozialisten geübte 
Härte erheblich gemindert; der Verlauf der Kammerverhandlungen zeigt 
deutlich, daß trotz der zu jeglicher Hilfe bereitwilligen Mehrheit ihm die Oppo— 
sition einen Schrecken ohne Ende bereitete. Es liegt daher nahe zu glauben, 
daß Crispi, der seiner Natur nach viel auf äußere Erfolge und auf Schein 
gegeben hat, sich der ihm drohenden Gefahren im Innern durch wirkliche oder 
Scheinerfolge auf anderen Gebieten zu erwehren suchte, daß er nach Ablenkungen 
der öffentlichen Meinung von seinen unerfreulichen Angelegenheiten suchte, 
um ihr den Mund zu stopfen; entsprechend der Ansicht jenes Italieners, der 
mir einmal gesagt hat: Crispi mag meinetwegen eine Million stehlen, wenn er 
nur Italien groß macht! Der Gedanke ist daher nicht ohne weiteres abzuweisen, 
daß die Unternehmungen in Afrika, die im Jahre 1806 seinem letzten Mini— 
sterium ein Ende mit Schrecken brachten, ihm als Ablenkung der öffentlichen 
Meinung von den ihm gefährlichen Erörterungen der inneren Politik dienen 
sollten oder wenigstens in diesem Sinne sehr willkommen waren. Der Grundsatz 
des „Cui prodest“ drängt sich hier um so mehr auf, als Crispi ein Interesse 
des persönlichen Ehrgeizes an der Frage hatte, die der letzte Grund des Krieges 
mit Menelik von Abessinien und seinen Unterkönigen war. Zu den Taten,
	        
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