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Deutsche Revue
In den späteren Jahren verlautete öfters, daß der Kurfürst die Zöpfe
wieder abschaffen wolle, worauf namentlich der Kurprinz drängte. Als aber
die jungen Offiziere ihre Haare immer modischer kraus gelockt und das Zöpfchen
im Dienst nur lose umgebunden oder am Aniformkragen angesteckt trugen, wo
es in komischer Steifheit hing, ohne den Bewegungen des Kopfes folgen zu
können, da witterte der alte Herr doch wieder den bösen Geist der Nevolution
und erließ strenge Befehle gegen die Modehelden. Er dachte eben so un—
gefähr wie Gutzkows preußischer König in „Zopf und Schwert“: „Der Zopf
ist die Zierde des Mannes. Ein Zopf, das ist nichts Wildes, Flackerndes,
Wüstes um den Kopf, den Sitz der menschlichen Seele ... sondern einfache,
sittliche, gestriegelte Ordnung, geflochtener Gehorsam, sanft herab über die
Schultern gleitend, das Sinnbild eines Christen.“
Die schrullenhafte Zopfliebhaberei des hessischen Kurfürsten schädigte sein
Renommee mehr als manche viel anfechtbarere Maßregel seines selbstherr⸗
lichen Regimentes. Seitdem er die in ihrer Spekulation betrogenen west⸗
fälischen Domänenkäufer auf den Fuß getreten hatte, und ihre lauten Klagen
den Bundestag und die Welt erfüllten, war die auswärtige Presse sowieso
nicht gut auf ihn zu sprechen. Sie mokierte sich nach Noten über den
Siebenschläfer und Zopfkurfürsten, und man erzählte sich gutgläubig die fabel-
haftesten Geschichten von den kurfürstlichen Nattenschwänzen, kurz, das Thema
wurde, wie Wilhelm Grimm ärgerlich schrieb, „bis zum Ekel abgenutzt“. Der
Kurfürst nahm das alles mit merkwürdigem Gleichmut hin, und als die
Göttinger Studenten nach Kassel kamen, um die historischen Zöpfe zu sehen
und zu verulken, da ließ er sie ruhig gewähren. „Laßt sie nur,“ sagte er zu
dem Polizeidirektor Manger, „sie bringen Geld unter die Leute.“ Dabei
trieben diese Studenten es ziemlich stark, indem sie in den Straßen der Stadt
mit riesengroßen Zöpfen paradierten, die teilweise so lang waren, daß die
Füchse den Burschen sie nachtragen mußten. Manche steckten sich auch zum
Alk gleich mehrere Zöpfe auf einmal an, als wollten sie die Geschichte
illustrieren, die in Kassel passiert sein sollte, daß einmal ein Gardeleutnant
mit natürlichem Zopf aus Versehen auf der Wache den Rock eines Kameraden
mit am Kragen angehefteten Zopf angezogen und sich so dem Kurfürsten
doppelzöpfig präsentiert habe. Als die Jenenser Studenten beim Wartburgfest
1817 den hessischen Zopf in effigie verbrannten, da fand das der Kurfürst
zwar „wenig erbaulich“, doch konnten ihn selbst diese Ausschreitungen nicht
zu besonders scharfen Maßregeln veranlassen, wie es überhaupt in Kurhessen
trotz des reaktionären Standpunktes des Regenten nicht zu solchen Damagogen⸗
verfolgungen kam wie in den Nachbarländern. „Hier geht es im ganzen viel
besser, als es im Auslande und in den Zeitungen aussieht ... auch wenn im
Bundestage gerade aus Hessen so viele Klagen einlaufen, während es ohne
Zweifel hier ungleich besser, freier und treuer ist als in Baden, Darmstadt,
Bayern u. dgl.,“ schrieb Wilhelm Grimm 1817 an Arnim, obwohl er den
hessischen Verhältnissen doch keineswegs kritiklos gegenüberstand.