Landgräfin Anna von Hessen 725
Oheim, und diese selbst gab sich redliche Mühe, es mit ihm nicht zu ver⹀
derben.
So beschränkte sich der regelmäßige Aufenthalt des Thronfolgerpaares
in Hessen eigentlich nur auf die Familienbesuche in Rumpenheim, dem
gemeinsamen Besitz der Kinder des 1837 verstorbenen Landgrafen Friedrich,
wo nach alter Tradition diese mit ihren Angehörigen regelmäßig alle zwei
Jahre zusammenzukommen pflegten. Außer der Familie des Landgrafen
Wilhelm in Kopenhagen gehörten dazu dessen beide unverheiratete Brüder,
Prinz Friedrich und Prinz Georg, die Großherzogin Marie von
Mecklenburg⹀Strelitz, Prinzessin Louise, Gemahlin des han⹀
növerschen Generals Grafen von der Decken (der 1859 zu Rumpenheim
starb und begraben wurde), und die verwitwete Herzogin von Cam⹀
bridge. Bei den weitverzweigten Familienverbindungen dieser Fürstlich⹀
keiten mit den bedeutendsten Höfen Europas gewannen die Rumpenheimer
Zusammenkünfte mit der Zeit den Charakter kleiner Fürstenkongresse, die
auch nach dem Absterben der älteren Generation nicht aufhörten, und
später, als sie nach Schloß Fredensborg verlegt wurden, unter der
geistigen Leitung der klugen Königin Luise eine weltpolitische Bedeutung
erhielten. Damals, als Luise erst anfing, die ‚Schwiegermutter Europas‘
zu werden, hatten die Zusammenkünfte noch einen harmlosen, rein familiären
Zuschnitt, und Prinzessin Anna, die unter den altfränkischen Onkels und
Tanten in Rumpenheim sich sehr wohl, aber doch in eine andere Welt ver⹀
setzt fühlte, scherzte in ihren Briefen an den Kurfürsten über den ‚Götter⹀
komplex am Main‘, zu dem sie den Oheim gern zuziehen wollte. Das gelang
aber nur selten, wie in den glanzvollen Tagen des Frankfurter Fürsten⹀
kongresses von 1863.
Im Herbst desselben Jahres war sie wieder mal in Kassel und
nahm mit ihrem Gemahl an den großen Manövern teil, die bei Gelegen⹀
heit der Bundesinspektion durch den preußischen General v. Brauchitsch
auf dem Langen Feld stattfanden. Bei der großen Forstparade führte Prinz
Friedrich dem Kurfürsten sein Infanterieregiment vor, und dieser, der
besonders gnädiger Laune war, verehrte der Prinzessin ein paar kostbare
Smaragdringe. ‚Es war gar zu hübsch in Kassel‘, schrieb sie ihn nachher
von Rumpenheim, ‚und wenn ich eitel werde, dann tragen Sie, lieber
Onkel, die Schuld daran. Die Tage auf Wilhelmshöhe, schön wie die
Zaubergärten der Armida, scheinen mir wie ein Traum; aber wenn ich auf
die glänzenden grünen Steine sehe und mir sage, daß sie von Ihnen sind
(als ein werthes, theueres Andenken Ihrer unverdienten Huld und Güte,
die mich hoch beglückt), dann weiß ich, es ist Wirklichkeit.‘
Von Rumpenheim ging es zurück nach dem winterlichen Kopenhagen,
wo kurz darauf der plötzliche Tod König Friedrichs VII. die Einleitung
zu weltpolitischen Ereignissen bildete, die auch das hessische Fürstenhaus in
starke Mitleidenschaft zogen. Kaum hatte Prinz Friedrich die sterbliche
Hülle des Königs in die Roeskilder Ahnengruft begleitet, so begann die
* Bismarck oft in R. d. (?) Briefe an Gerlach 84. 336