724 Philipp Losch
ungern, daß es dem kleinen Prinzen Willy in Berlin gar nicht gefalle,
weil er dort nicht wie in Kassel sechsspännig mit den stolzen kurfürstlichen
Isabellen fahren könne, aber für die immer deutlicher werdenden Wünsche
der Prinzessin, nach Kassel überzusiedeln, hatte er nur taube Ohren. Im
Februar 1860 brachten Kasseler Zeitungen die Nachricht: ‚Dem Vernehmen
nach gedenken Se. Hoheit und Ihre Kgl. Hoheit der Prinz und die Prin⹀
zessin Friedrich Wilhelm den Sommer in hiesiger Residenz ‚zu ver⹀
weilen‘, was den Kurfürsten sehr beunruhigte, zumal er hörte, daß der
Prinz das ehemalige Hessensteinsche Palais in der oberen Königsstraße
gekauft habe. Er schrieb sofort nach Kopenhagen, er finde den Preis von
10 000 Talern für dies Haus viel zu hoch, hoffe auch, daß das Prinzenpaar
nicht die Absicht habe, dauernd in Kassel zu wohnen, zumal ‚ein hiesiges
demokratisches Blatt‘ seine Freude darüber geäußert habe, was doch nicht
im Sinne des Prinzen sein könne. Es wurde sogar erzählt, er habe den
Ministerialrat v. Goeddaeus in dunkler Nacht aus dem Bette geholt, um
ihn nach Kopenhagen telegraphieren zu lassen: wenn der Prinz seine Absicht
nicht aufgebe, so sei der Kurfürst entschlossen, sich von der Fürstin von
Hanau scheiden zu lassen und eine ebenbürtige Ehe einzugehen.‘* Das
‚demokratische Blatt‘ war die Hessische Morgenzeitung, und derem Hinter⹀
männer machten allerdings mehrfach Versuche, den Prinzen für ihre politi⹀
schen Pläne zu benützen, ebenso wie Bismarck in der berüchtigten Feld⹀
jägernote vom 24. November 1862 zu demselben Mittel griff, um den
Kurfürsten einzuschüchtern. Noch einmal wurde dieser Versuch unternommen,
als im Jahre 1864 anläßlich des sog. Jungermannschen Stockungs⹀
antrags in der hessischen Ständekammer die liberale Opposition sich Mühe
gab, den Kurfürsten zum Geisteskranken zu stempeln und für Einsetzung
einer Regentschaft mit dem Thronfolger zu wirken. Obwohl Prinz Friedrich
in allen diesen Fällen sich durchaus loyal gegen den Chef seines Hauses ver⹀
hielt, so waren doch diese Treibereien nicht dazu angetan, das Mißtrauen
des ohnehin von Haus aus sehr argwöhnischen Kurfürsten gegen den
Thronfolger zu beschwichtigen. Deshalb durchkreuzte er rücksichtslos dessen
Wünsche und Pläne, die dahin zielten, durch Übersiedelung nach Hessen in
ein näheres Verhältnis zu dem Lande und Volke seiner Zukunft zu kommen,
wie er es überhaupt nach seiner Art nicht an kleinlichen Nadelstichen fehlen
ließ, um dem Prinzen den Aufenthalt im Lande zu verleiden.
Bei alledem blieb er der Prinzessin Anna gegenüber der gnädige
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* Die Drohung erinnert etwas an die ähnliche des Prinzen Karl von
Hessen⹀Rotenburg, des sogenannten Jakobinerprinzen, der dem Kur⹀
fürsten Wilhelm I. versprochen hatte, nicht zu heiraten, dann aber nach dem an⹀
geblichen Bruch seines Abkommens durch den Kurfürsten diesem schrieb: Nun werde
er ihm zum Trotz sogar eine österreichische Prinzessin heiraten, ‚und, da ich eine
ansehnliche Dosis Groll habe, werde ich Tag und Nacht den Heiligen Geist an⹀
flehen, um sechs Prinzen und sechs Prinzessinnen zu bekommen — und ich werde
Wort halten‘! Das hat aber Charles Hesse, wie er sich nannte, doch nicht getan.